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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Autoren: Alexander Odin
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    AUSTRALIEN, LITTLE WICKER MILL,
17. NOVEMBER
    Gestern warst du noch ein Vater von zwei hübschen Töchtern und bist jeden Sonntag mit deiner Familie in die Kirche gegangen. Deine Frau Amber hast du in den zwanzig Jahren eurer Ehe nur ein paar Mal betrogen; in deinem Truck, mit irgendwelchen Nutten, nachts irgendwo auf einsamen Parkplätzen hinter grauen Shopping-Malls. Du hast immer deine Steuern bezahlt und den Rasen vor deinem Haus nie höher als exakt zwei Zentimeter wachsen lassen. Du hast das gleiche Leben wie deine Nachbarn geführt, in dem Häuschen mit der weißen Veranda und dem gepflegten Vorgarten. Dein Leben war eine Bootsfahrt auf einem ruhigen Fluss, bei der du ab und zu in ein paar Stromschnellen geraten bist. Große Träume hattest du nie. Dennoch warst du stets zufrieden mit deinem Leben. Du warst ein Vorbild für deine Kinder, hast ihnen sogar gepredigt: Wenn einer dir auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die rechte hin. Und nach diesem Gebot hast du selbst gelebt – selbst dann noch, als sie dir bei Greenmart , dem Supermarkt in der nächstgrößeren Stadt, bei dem du als stellvertretender Filialleiter gearbeitet hast, bei einem Raubüberfall das Nasenbein zertrümmert und dir ein Messer in den Bauch gerammt haben. So ist dein Leben vor dem Sandsturm gewesen.
    Diesen Gedanken hing John Rudin nach, während er seine Arbeit verrichtete. Abermals holte er mit der Machete aus und trennte nun Ruth Wilkes Kopf endgültig vom Rumpf. Er hatte ein paar Mal ansetzen und mit voller Wucht zuschlagen müssen, weil der Hals fett und die alte Machete seines Großvaters schon recht stumpf war. John hatte nie die Notwendigkeit gesehen, die Klinge zu schärfen. All die Jahre hatte das hässliche Ding einfach so an der Wand über dem Kamin gehangen. Seine Frau hatte mehrmals versucht, ihn zu überreden, das Erinnerungsstück an seinen Großvater abzuhängen, vor allem wegen der Kinder. Aber er hatte sich nie dazu durchringen können, weil er einfach zu sentimental war. Dass die Machete einmal diesen Zweck erfüllte, wäre ihm früher nie in den Sinn gekommen.
    Als er Ruth Wilkes Kopf im Staub so daliegen sah und in ihre weit aufgerissenen Augen blickte – Augen, die ihn anstarrten und zu fragen schienen: Warum hast du das getan? –, tat sie ihm für einen Moment leid.
    Letzte Woche hatte er bei ihr auf dem Weg nach Hause noch getankt und eine Dose Altoids Strong Mints gekauft, um seinen schlechten Atem zu überdecken. Sie gab wie immer dieses merkwürdige Schnalzen von sich, als sie lächelnd ihren Mund öffnete und ihn mit ihren schief sitzenden dritten Zähnen fragte: Wie geht’s denn so, John? Er gab eine nichtssagende Antwort und nahm das Wechselgeld an sich. Bevor er hinaustrat, hörte er noch ihren Mann Richard rufen: Wer war das, Ruth? Das fragte er immer, wenn er hinten im Lager mit irgendetwas beschäftigt war und nicht selber vorne am Tresen stehen konnte.
    Ruth Wilke und ihr Mann hatten alle Einwohner von Little Wicker Mill gekannt: jede Frau, jeden Mann, jeden Hund und jedes Kind, alle mit Namen. Seit fünfzig Jahren war die einzige Tankstelle in dem Siebzig-Seelen-Kaff in ihrem Besitz gewesen.
    John Rudin wischte das Blut von der Klinge ab und steckte die Machete in das Lederholster. Er packte Ruth Wilkes Kopf an den verschmutzten, langen grauen Haaren und warf ihn in das Erdloch, wo er auf die Leiche ihres Mannes klatschte. Dann schob er ihren schweren Körper hinterher und begann, Erde darüber zu schaufeln.
    In den letzten Tagen hatte er das schon Dutzend Male getan. Erst vorgestern hatte er seine beiden Töchter Emily und Luisa getötet und sie dann hinter dem Haus in einem Erdloch direkt neben der Schaukel begraben.
    Als er fertig war, steckte er ein kleines Holzkreuz auf das Grab. Er faltete die Hände und sprach ein kurzes Gebet. Dabei blickte er in die Ferne auf das öde Land, auf dem vereinzelt ausgedorrte Büsche standen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel herab. Heute Morgen hatte das Thermometer über 40 Grad Celcius angezeigt, was für diese Jahreszeit außergewöhnlich hoch war. Laut dem meteorologischen Institut standen dem Kontinent gefährliche Jahrzehnte mit immer früher beginnenden Buschfeuern bevor – eine Folge des weltweiten Klimawandels.
    John schob seinen Wallaby-Lederhut tiefer ins Gesicht, legte sich die Schaufel über die eine, den Rucksack über die andere Schulter und lief den kleinen Hügel hinunter zum Highway. Als er das Ortsschild passierte,
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