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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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Wochen, in denen sie mich für meine Angst verspottet hatte! Rike, du schaust zu viele Krimis. »Sollten Sie Ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht fristgerecht nachkommen, wird Ihnen hiermit die Abschiebung in die Russische Föderation auf Ihre Kosten angedroht.«
    Das waren so viele schreckliche Wörter auf einmal, dass ich das Papier sinken ließ.
    Mir wurde heiß und schwindlig. Vor meinen Augen tanzten schwarze Paragrafen und in meinem Kopf hämmerte es. Abschiebung. Abschiebung. Man drohte ihr mit Abschiebung. Und was machte Mila? Spielte Gitarre und fütterte Enten!
    »Für den Fall, dass Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung nachkommen möchten«, las ich weiter, »bitten wir Sie die freiwillige Ausreise durch beigefügte Grenzübertrittsbescheinigung nachzuweisen.« Ich schleuderte den Brief in die Ecke. Für den Fall, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung nachkommen wollte! Eher würde es heute noch schneien!
    Plötzlich hörte ich mein Handy klingeln. Ich sprang auf und rannte in mein Zimmer. Es war Achim. Auch das noch.
    »Wenn du nicht in fünf Minuten hier bis t …«
    »Achim, ic h …«
    »Quatsch keine Opern, schwing deinen Hintern her.«
    »Ja, oka y … bis gleich.«
    Ich lief zurück in Theos Zimmer und verwischte meine Spuren. Den Brief steckte ich ein.
    Kurz vor Mitternacht schickte Achim mich nach Hause, obwohl meine Schicht noch nicht zu Ende war. Vier zerbrochene Gläser und mindestens zehn falsch gebongte Bestellungen gingen bis dahin auf meine Kappe.
    »Mach dich vom Acker, sonst treibst du mich heut noch in den Ruin«, brummte Achim und ließ mich ziehen. Ich war heilfroh, dass er mich von den üblichen Verwünschungen verschonte. Aber was mir noch bevorstand, war ohnehin viel schlimmer als Achims Gefluche.
    Ich sah schon vom Hof aus, dass in der Küche Licht brannte. Ich schloss mein Rad an und schleppte mich die Treppe hinauf. Tausend Sätze spukten mir durch den Kopf, Vorwürfe vor allem, und dann die fürchterlichen Zeilen, die ich nie hätte lesen dürfen.
    Mila saß in der Küche und schrieb in ein Buch. Als sie mich bemerkte, klappte sie es sofort zu und schob es unter eine Zeitung.
    Sie sah mich mit großen Augen an und plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt. Wortlos knallte ich den Brief auf den Tisch.
    Sie erkannte ihn sofort und sprang auf, als wäre er eine giftige Schlange.
    »Sag mal, bist du bescheuert?«, schrie sie mich an. »Woher hast du den?«
    »Aus deinem Rucksack.«
    »Wieso schnüffelst du in meinen Sachen?«
    »Wieso lügst du mich an?«
    »Ich habe dich nicht angelogen!«
    »Ach nein?«
    »Nein!« Milas Stimme überschlug sich.
    »Aber verschwiegen hast du mir was! Hockst mit mir am Feuer, singst mir was vor, machst einen auf Freundin und hast so einen Brief in der Tasche!«
    »Ich bin nicht deine Freundin!«, brüllte Mila.
    »Nein, das bist du nicht! Eine verlogene Schmarotzerin bist du!«
    »Im Gegensatz zu dir schiebt mir das Leben eben keine Perlen in den Arsch!«
    »Ach, und soll ich mich deswegen jetzt schlecht fühlen? Behandelst du mich deshalb wie den letzten Dreck? Weil du neidisch bist?«
    »Neidisch?« Mila lachte verächtlich. »Worauf denn?«
    Mir schossen Tränen in die Augen. »Warum hast du mir denn nichts gesagt?«
    »Warum hast du mir denn nichts gesagt?«, äffte Mila mich in weinerlichem Tonfall nach. »Weil du es gar nicht wissen willst!«, fauchte sie. »Oder denkst du, ich bin blind? Oder taub? Du machst doch nachts kein Auge mehr zu, seit wir im Kino waren. Weil die Bullen vielleicht gekommen wären und mich vielleicht kontrolliert hätten. Wie gut hättest du denn geschlafen, wenn ich dir erzählt hätte, dass sie mich schon mal erwischt haben?«
    »Und wie ist das passiert?«
    »In irgendeinem Club. Ausweiskontrolle. Toll, oder? Fühlst du dich jetzt besser? Weil du Recht gehabt hast?«
    »Und wer ist Linus?«, fragte ich weiter.
    »Ein verdammter Wichser, der mich vögeln wollte, ich wollte aber nicht.«
    Mir sackte das Blut in die Beine und ich musste mich hinsetzen. Tränen liefen mir übers Gesicht und tropften auf die Tischplatte. Der Brief, der zwischen uns lag, verschwamm vor meinen Augen. Jetzt war alles gesagt. Jetzt war alles kaputt. Aber es kam noch schlimmer.
    »Was ist denn hier los?«, hörte ich Theos Stimme hinter mir. Ich sah zu Mila, die mit verschränkten Armen in der Ecke stand und mich mit glühenden Augen anfunkelte.
    Ich ließ den Kopf sinken, tropfte immer noch den Tisch nass und schwieg.
    »Hallo? Kann mir jetzt
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