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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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gehüllt, lauter kleine Raupen. Dahinter erhob sich die Fassade eines großen Backsteingebäudes, das von Scheinwerfern angestrahlt wurde. Ich sah zum Himmel. Kein Wölkchen war zu sehen, dafür die ersten Sterne und ein zierlicher Junimond. Die riesige Leinwand flatterte leicht in der Abendbrise. Alles war perfekt. Nur das Popcorn war ein bisschen zu süß.
    Nach dem Film wäre ich am liebsten im Schlafsack zur U-Bahn gehüpft. Fröstelnd schlüpfte ich aus meinem warmen Kokon, stopfte ihn zurück in seine Hülle, die Schafe zurück in die Tasche und stakste mit meinem Liegestuhl unterm Arm zu dem Container, der für die Stühle bereitstand. Dort wartete ich dann auf Mila, die in aller Seelenruhe ihre Lakritzschnecken und mein Popcorn aus der Wiese zupfte und in die Papiertüte warf.
    Wir ließen das Backsteingebäude hinter uns und bogen in die Straße Richtung U-Bahn ein. Genau in diesem Moment schien jemand den Lautstärkeregler der Stadt wieder aufzudrehen. Plötzlich wimmelte es von Leuten, von bunt erleuchtenden Bars, Imbissbuden, Autos. Die Straße schlug eine blinkende, pulsierende Schneise durch die Nacht. In meinem Liegestuhl hatte ich fast vergessen, wo ich war.
    Ich freute mich auf die muffigen U-Bahn-Schächte am Kottbusser Tor und sogar auf einen schlecht riechenden gelben Waggon. Da drin war es wenigstens warm. Doch auf dem Weg dorthin entdeckte ich etwas viel Besseres. Zuerst hatte ich nur den Klang mehrerer Instrumente vernommen, dann sah ich hinter einer Hecke ein Lagerfeuer. Wir liefen langsamer und spähten durch die Zweige auf eine Wiese oder einen winzigen Park. Ich erkannte die Silhouetten mehrerer Leute, die um das Feuer herum standen oder saßen. Hinter ihnen stiegen Funken in den Himmel.
    »Bestimmt ’ne Privatparty, was meinst du?«, fragte ich Mila und hielt sehnsüchtig Ausschau nach dem Feuer.
    »Glaub ich nicht, los komm, lass uns nachsehen.« Mila griff nach dem Ärmel meiner Jacke und zog mich einfach hinter sich her.
    Ein paar Meter weiter öffnete sich ein Durchgang in der Hecke, na ja, eher ein schwarzes Loch. Mila krabbelte, ohne zu zögern, hinein. Ich folgte ihr stolpernd und mit vorgehaltener Hand, damit die Zweige mir nicht das Gesicht zerkratzten.
    Auf der anderen Seite war eine bucklige Wiese und vor uns inmitten einer kleinen Insel aus Sand brannte das Lagerfeuer. Eine Insel ohne Meer, aber das sanfte Gebrumm der Hauptstraße, das sich unter die Musik mischte, konnte glatt als Meeresrauschen durchgehen. Diese Stadt war wirklich eine Aneinanderreihung von Paralleluniversen.
    Mila und ich gingen näher heran, aber niemand nahm Notiz von uns. Es waren vielleicht dreißig, vierzig Leute. Viele schienen sich gar nicht zu kennen.
    Während die meisten Leute Hunderte Kilometer für einen Strandurlaub zurücklegten, fand der Sommer hier einfach so statt, auf ein paar Quadratmetern Sand hinter einer Hecke an der Adalbertstraße.
    Ich setzte mich neben Mila auf einen Baumstamm und schaute ins Feuer. Mila schaute zu den Musikern. Es war nicht schwer zu erraten, was ihr durch den Kopf ging. Ihre Turnschuhe wippten bereits und ihre Augen hatten diesen eigentümlichen Glanz, den ich in den letzten Tagen und Wochen so oft gesehen hatte. Mila nahm mich immer häufiger mit auf Tour und ich begleitete sie gern. Auch wenn ich ihre Lieder inzwischen fast alle kannte, wurde es nie langweilig. Selbst wenn wir irgendwo ein zweites oder drittes Mal waren, konnte man nicht vorhersagen, auf welches Publikum wir trafen. Ich wusste aus dem Delirium , wie sehr sich die Montagstrinker zum Beispiel von den Freitagstrinkern unterschieden und dass die wenigsten von ihnen sich auch am Wochenende blicken ließen.
    Mit ihrem Charme brachte Mila fast jeden Wirt dazu, sie spielen zu lassen. So erhielten wir selbst in den nobleren Schuppen Einlass, auch wenn dafür zunächst ein Türsteher bezirzt werden musste. Mila kannte keine Scheu, wurde nicht müde zu lächeln, zu flirten, höflich zu sein. Woher sie die Kraft nehme, jeden Abend aufs Neue loszuziehen, habe ich sie irgendwann mal gefragt. Woher sie die Kraft nehmen solle, es nicht zu tun, war ihre Antwort. Über das bisschen Kohle, was sie sich auf diese Weise Abend für Abend hart erarbeitete, redeten wir nie. Auch wenn ich mich schon manchmal fragte, was Mila eigentlich machen würde, wenn ich sie nicht bei mir schlafen ließe.
    An schlafen dachte am Lagerfeuer niemand. Es kamen immer mehr Leute und auf dem Baumstamm wurde es allmählich eng. Ein Typ
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