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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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quetschte sich neben mich.
    »Ma kucken, wann die Bullen diesma kommen«, sagte er und prostete mir zu.
    Mir blieb fast das Herz stehen. »Die Bullen? Wieso?«
    Er gluckste amüsiert. »N a … wegen Ruhestörung und so. Das letzte Mal standen sie um eins auf der Matte, die Penner.«
    Ich warf einen panischen Blick zu Mila, die immer noch die Instrumente anschmachtete, und zog hastig mein Handy aus der Tasche. Kurz vor halb eins. Der Sommer war vorbei.
    »Mil a …« Ich zerrte an ihrem Ärmel. Mila reagierte nicht. Ich stieß sie an.
    »Was denn?«, fragte sie abwesend.
    »Mila, lass uns gehen.«
    »Wieso denn, es ist doch gerade so schön.«
    »Mila, bitte, lass uns gehen, ja?«
    »Bist du müde?«
    »Ja, sehr.«
    »Dann geh doch schon mal vor. Ich bleibe noch ein bisschen, in Ordnung?«
    »Nei n … j a … ich meine, komm bitte mit, ja?«
    »Was ist denn los?« Mila drehte sich zu mir und schaute mich verwundert an.
    »Ic h … ich möchte einfach, dass du mitkommst, okay?«
    Milas Augen funkelten, aber es war kein nettes Funkeln.
    »Bitte, ich erklär es dir später.«
    Ich redete gegen eine Mauer. Mila schüttelte bloß den Kopf und wandte sich ab.
    Ich wollte nicht hysterisch sein. Vor allem wollte ich Mila nicht an unser Geheimnis erinnern. Ich hatte es selbst so gern vergessen wollen. Aber Mila ließ mir keine andere Wahl.
    »Hier kommt gleich die Polizei«, zischte ich ihr zu.
    Mila reagierte nicht.
    Ich bohrte meine Schuhe in den Sand und rutschte unbehaglich auf dem Baumstamm hin und her. Ich wartete eine Weile, aber Mila starrte nur stur geradeaus. Dann stand ich auf.
    »Mach doch, was du willst.«
    Ich lief über die Wiese, so langsam ich konnte. Ich kroch durch die Büsche und sofort umfing mich Eiseskälte. Als ich endlich die hell erleuchtete Straße betrat, blieb ich kurz stehen und holte tief Luft. Dann ging ich zur U-Bahn.
    Ich war ein paar Hundert Meter gegangen, als ich aus den Augenwinkeln sah, dass jemand neben mir lief.
    »Rike, du schaust zu viele Krimis«, japste Mila und hakte sich bei mir unter.
    Mila und ich taten so, als hätte der Kinoabend kein so abruptes Ende genommen. Wir redeten einfach nicht mehr darüber und ich versuchte, auch nicht mehr daran zu denken. Es gelang mir nicht oder nicht gut genug für Mila. Fast jeden Morgen, an dem ich zur Uni fuhr, verließ ich die Wohnung mit einem mulmigen Gefühl, und ich brachte es auch immer wieder mit nach Hause. Schlimmer wurde es an den Abenden, wenn Mila und ich unterwegs waren. Ich hätte mich am liebsten unsichtbar gemacht und versuchte, mit den Menschenmassen um mich herum zu verschmelzen, aber mit einem Mädchen wie Mila an der Seite war das ein vollkommen aussichtsloses Unterfangen. Wie eine Besessene hielt ich Ausschau nach Polizeistreifen, und wenn ein Polizeiauto an uns vorbeifuhr, stockte mir regelmäßig das Blut in den Adern. Die vermehrten nächtlichen Polizeipatrouillen an den S- und U-Bahnhöfen, die nach ein paar üblen Schlägereien eingeführt worden waren, verwandelten mich Abend für Abend in das reinste Nervenbündel. Ich hätte Mila am liebsten zehn Fahrscheine gekauft, wenn das irgendetwas genützt hätte. Aber selbst hundert Fahrscheine ergaben noch kein Visum.
    Vielleicht überschätzte ich das Risiko. Bestimmt, ja. Wann war ich denn überhaupt das letzte Mal unverhofft nach meinem Ausweis gefragt worden? Vor zwei Jahren? Als ich eine Flasche Rotwein an der Tanke kaufen wollte? Mit sechzehn. Ungeschminkt. Danach hatten Hannah und ich uns tüchtig angemalt oder die Jungs von der Bushaltestelle vorgeschickt. Mit allen anderen Schikanen war zu rechnen gewesen. In Clubs durften wir nur bis Mitternacht, wenn überhaupt. Die kleine Kirche in unserem Ort ahndete gemütliches Beisammensein auf ihrer Wiese nach 2 2 Uhr Gerüchten zufolge mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Notfalls konnte man sich aber auch mit 8 0 Euro freikaufen. Es war also wirklich kein Kunststück, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
    Trotzdem konnte ich einfach keinen kühlen Kopf bewahren und entzog mich der anstrengenden Situation auf meine Weise: Ich begann immer häufiger Ausreden zu erfinden, warum ich Mila nicht auf ihre Touren begleiten konnte. Mila durchschaute natürlich, dass weder eine Schicht im Delirium noch überwältigende Müdigkeit noch Menstruationsbeschwerden mich davon abhielten, mir mit ihr die Nächte um die Ohren zu schlagen.
    Ich war nicht wirklich davon ausgegangen, dass Mila mir meine Ausflüchte auf Dauer
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