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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Autoren: Craig Russell
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PROLOG
     
    1. Fünfzehn Jahre vor dem Sturm
     
    Zu tief.
    Korn schaltete die Kommunikationsverbindung der Pharos One erneut ein. Er hörte Wiegands Stimme, doch dann brach die Verbindung ab. Kein Knistern oder Zischen, denn das digitale Kommunikationssystem hatte keine Abstufungen – das Signal war entweder zu hören oder nicht. Wiegands Besorgnis drang in Form von abgehackten Silben und Pausen zu Korn durch. In Form von scharfkantigen Wortscherben.
    Er betrachtete den Tiefenmesser des Tauchboots. Herrje, zu tief, zu tief. Und er sank immer noch. Dreitausend Meter. Dreitausendzweihundert. Dreitausendsechshundert. Kein Gefühl des Fallens, des Abstiegs. Nur der unerbittliche Sturz der Anzeige auf dem Tiefenmesser.
    Unter ihm der Graben. Um ihn herum das Wasser: kalt, dicht, überwältigend. Schwarz.
    Es war ein anderes Universum. Eine andere Realität.
    Pharos One hatte nur eine sehr kurze Strecke zurückgelegt. Eine Entfernung von dreieinhalb Kilometern. An Land konnte man sie bequem zu Fuß in einer Dreiviertelstunde hinter sich bringen. Aber Korn befand sich nun an einem Ort, der so weit von der Menschheit entfernt zu sein schien wie der Weltraum. Wie der Mond.
    Viertausend Meter.
    Jetzt war Korn am Rande des Abgrunds. Buchstäblich. Denn hier begann die abyssopelagische Zone. Das Wasser außerhalb des Bootes hatte nichts mehr mit dem gemein, was normalerweise unter Flüssigkeit verstanden wird. Es bewegte sich tief in den dunklen Schichten des Ozeans, wo sämtliches Leben blind in einem lichtlosen Universum war. Laut den Anzeigen näherte sich die Wassertemperatur dem Gefrierpunkt, doch es blieb wegen seines hohen Salzgehalts flüssig. Zugleich hatte es eine unvorstellbare, zermalmende Dichte. Korn wusste, dass der Druck bereits vierhundertmal so hoch war wie am Meeresspiegel und dass er nach jeweils zehn Metern, die die Pharos One sank, um eine Atmosphäre stieg.
    »Ich habe die Kontrolle verloren«, rief er ins Mikrofon. »Das Steuerpult ist völlig tot. Ihr müsst versuchen, mich per Fernbedienung hochzuholen.«
    Weitere scharfe Wortscherben drangen zu ihm. Korn wusste, dass er für das Mutterschiff an der Oberfläche genauso klang. Wenn die Grundkommunikation nicht funktionierte, bestand auch kaum eine Aussicht, dass sich eine verlässliche Fernkontrolle ausüben ließ. Denn das Systemversagen, das ihm die Kontrolle raubte, hatte vermutlich auch die Verbindung zu dem fernen Navigations-Computer gekappt.
    Ein weiteres Silbengewirr.
    Korn machte keinen Versuch zu antworten. Er bemühte sich zu denken. Oder, genauer gesagt, er versuchte, seine Gedanken zu verlangsamen, die Panik aus ihnen zu verdrängen, damit er denken konnte . Warum waren die Hauptmotoren von Pharos One ausgefallen? Warum hatte er keine Kontrolle mehr über das Ruder? Und warum hatte das Tauchboot einen so katastrophalen Auftriebsverlust erlitten? Das gesamte System schien zusammengebrochen zu sein. Er war sich sicher, dass die Motoren und das Ruder in Ordnung waren. Es handelte sich um einen elektronischen, nicht um einen mechanischen Fehler. Warum wusste er nicht, woran es lag? Er hatte geholfen, die Pharos One zu entwerfen. Er hatte ihre elektronische Steuerung persönlich geplant und zusammen mit Wiegand ausfallsichere Systeme geschaffen. Wie war es hierzu gekommen?
    Da Korn an der Entwicklung der Pharos One beteiligt gewesen war, wusste er, dass sie im Gegensatz zu einer Tauchzelle keine optimale Auftriebskraft hatte. Der Auftriebskörper mit Petroleum und Eisenschrotballast hatte eine begrenzte Kapazität. Korn hatte auf einem Tauchboot bestanden, das erhebliche Tiefen erreichen und gleichzeitig durch seine Umgebung »hindurchfliegen« konnte. Ohne Antriebskraft sank es durch sein Gewicht.
    Korn blickte durch die verschmolzenen Quarzfenster in das dunkle Wasser hinaus. Die Strahlen der Jodscheinwerfer ließen einen nach oben gerichteten Strom heller Partikel erkennen. Dann wurde etwas Blasses von den externen Navigationslichtern erfasst. Ein vielfältig verzweigtes Gorgonenhaupt trieb wie ein verlorenes Spitzendeckchen am Fenster vorbei in die Höhe. Es war das einzige Lebewesen, das er bemerkte. Das einzige Lebewesen, das er sehen konnte. Wenn es denn als Lebewesen zu bezeichnen war. Blutlos, fähig, Teile von sich zu regenerieren und sogar aus einem abgerissenen Tentakel ein völlig neues Geschöpf zu reproduzieren. Es war ein Wesen mit einem 65 Millionen Jahre alten Stammbaum.
    Ich sollte nicht hier sein. Der Gedanke überraschte
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