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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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Mit so profanen Dingen wie Rasierschaum in der Hand.
    Als ich vor drei Monaten bei ihm auftauchte, um mich für das WG-Zimmer zu bewerben, war sofort klar, dass das mit Theo anders laufen würde als mit den Jungs, die ich bisher kannte. Er öffnete die Tür in Unterhose, fragte, ob ich Friederike sei, und winkte mich herein. Ich zögerte. Meine Mutter hatte mich vor dieser Stadt gewarnt. Vor allem vor den vielen Drogenabhängigen und den Künstlern. Emotionale Verwahrlosung, eine ungewollte Schwangerschaft und der frühzeitige Abbruch meines Hochschulstudiums waren mir vorhergesagt worden. Meine Mutter ist eben eine sehr fantasievolle Frau, nicht nur, wenn es um ihren Garten geht.
    Ich betrat den schmalen Flur.
    »Kaffee?«
    »Gerne.«
    Zu den von mir wohlsortierten Sätzen, die meine absolute Tauglichkeit als WG-Mitglied unter Beweis stellen sollten, kam ich gar nicht. Theo wollte lediglich wissen, ob mir mein Zimmer gefiele und ob ich irgendwelche Fetische habe. Frage eins war schnell beantwortet. Das Zimmer war traumhaft. Es war groß, hell und leer. Weder meine Mutter noch mein Vater würden verhindern können, dass ich die Wände bunt anmalte. Frage zwei konnte ich nicht so schnell beantworten, da ich nicht mal genau wusste, was Theo mit Fetisch meinte. Das hieß dann wohl nein.
    »Okay«, sagte Theo, während wir in meinem zukünftigen Zimmer standen und ich in Gedanken bereits Möbel rückte. »Das hier ist ein Männerhaushalt und ich will, dass das so bleibt.«
    Ich sah ihn irritiert an. »Ich bin aber eine Frau.« Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich ihn darauf aufmerksam machen musste.
    »Nee, du bist mein neuer Mitbewohner.«
    Komplimente klingen anders, ich weiß.
    Wir standen immer noch in der U-Bahn, als Theos Handy klingelte.
    »Hi, Rober t – zehn Minute n – Scheiß e – alles kla r – tschau.«
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Robert wollte nur wissen, wo wir bleiben. Im Blauen Salon ist die Hölle los. Sie gehen schon mal rein.«
    Die Hölle. Ich sollte den ersten Tag des neuen Jahres in der Hölle verbringen.
    »Ach so«, sagte ich und tastete in der Jackentasche nach dem Wohnungsschlüssel. Ich spürte das kühle Metall und wurde ruhiger. Ich wusste, in der obersten Schublade meines Schreibtisches lag noch der Unterleib eines Schokoladenweihnachtsmannes.
    Wir fuhren in die nächste U-Bahn-Station ein. Ich schaute auf die Uhr. Knapp fünfzig Minuten bis Mitternacht. Ich stellte missmutig fest, dass es nicht der Gedanke an etwas Süßes war, der sich geräuschvoll durch meinen Magen fraß. Es war etwas anderes. Etwas, was in diesem Augenblick genauso wenig in meinen Bauch gehörte wie ein Schokoladenweihnachtsmann.
    Melancholie.
    Na schön, stellen wir uns den Tatsachen. Dieses Jahr war ein Desaster gewesen. Hinter mir lagen eine versaute Abifeier, eine verkorkste Führerscheinprüfung und zwei Todesfälle. Mein Exfreund Moritz hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als auf der großen Abschlussparty vor meinen Augen mit einer anderen rumzuknutschen. Mein Fahrlehrer war Choleriker. Die Tatsache, dass ich mich während jeder Fahrstunde fast übergab, brachte ihn zur Weißglut. Ich bin mir sicher, es lag an dem Duftbäumchen, Sorte »New Car«, das am Innenspiegel baumelte.
    Und die Todesfälle? Im September nahm sich mein Wellensittich das Leben. Das einzige Wesen, das mich bedingungslos liebte, abgesehen von meiner Mutter, stürzte sich eines Abends in das Bierglas meines Vaters. Als wir es bemerkten, war Tobi längst ertrunken. Ich trug ihn in einem Pappkarton in den Garten zu den Himbeerbüschen und rammte wie betäubt den Spaten in die steinharte Erde.
    Im Oktober starb Janis Joplin. Okay, das ist jetzt vierzig Jahre her, aber Janis ist inzwischen so eine Art große Schwester für mich geworden. Manchmal ist es eben so, man hört eine Stimme und hat das Gefühl, den Menschen zu der Stimme zu kenne n – nicht bloß seinen Namen oder die Namen seiner Alben, sondern seine Art, Dinge zu betrachten. Ich habe irgendwann aufgehört, Biografien über Janis zu lesen. Ich hatte den Eindruck, dass ich sie weder bei Wiki noch in irgendwelchen Büchern finden würde, sondern nur in ihren Songs.
    Janis konnte sehr wütend sein, das gefiel mir. Am liebsten mochte ich es, wenn sich ihre Wut mit meiner verbündet e – gegen meine Eltern und gegen triste Sonntagabende mit Reiherblick.
    Eine andere Stimme zerriss diesen Gedanken. Keine schöne Stimme. Eine seltsame Stimme. Seltsam schön
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