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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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vielleicht. Und sehr laut.
    Ich sah zu Theo und meinte, Verwirrung in seinem Blick zu entdecken. Er merkte es und schon tauschten seine Augen ihr Glitzern gegen das übliche Nichts.
    Ich stellte mich auf Zehenspitzen und erspähte zwischen Mützen und Kapuzen einen dunklen Haarschopf, der sich seinen Weg durch die Menschenmenge bahnte. Sekunden später sah ich den Mund dazu und das Gesicht und die kleine Frau, die sich mit einer Gitarre unterm Arm singend durchs Abteil schlängelte. Als sie näher kam, wurde aus der Frau ein Mädchen. Ihre Haut war blass und glatt und sie trug riesige Ohrringe. Was sie sang, klang wie Russisch. Das passt zu den Ohrringen, dachte ich und fand mich dämlich. Woher kommt diese Stimme, fragte ich mich und musterte das Mädchen, das jetzt neben mir stand. Unauffällig suchte ich nach der Stelle an ihrem zierlichen Körper, die diese Kraft erzeugte.
    Stopp, sagte mein Kopf. Du bist sentimental und sonst gar nichts.
    Ich sah Theo an, doch der starrte bloß vor sich hin.
    Mädchen verwechseln Sentimentalität ständig mit Klugheit.
    Ihr heult und denkt, ihr seid im Recht. O-Ton Theo.
    Spaß ist euch zu simpel. Sobald ihr Weiber ein hübsches Mädchen seht, das sich amüsiert, erklärt ihr es für primitiv. Weil ihr’s nicht aushaltet, dass es Mädchen gibt, die clever sind und trotzdem ’nen geilen Arsch haben.
    So was musste ich mir öfter anhören, seitdem ich mit Theo zusammenwohnte. Was im Grunde nur bedeuten konnte, dass er meinen Arsch nicht geil fand.
    Was interessierte es mich überhaupt, was Theo über meinen Hintern dachte? Seiner war mir doch auch egal. Theo war nämlich gar nicht mein Typ.
    Das Mädchen mit der Gitarre stieg an der nächsten Haltestelle aus und mit ihm die dusseligen Analysen über meinen und Theos Hintern.
    Als wir vorm Blauen Salon standen, war es kurz vor zwölf. Vor uns wartete ein Haufen Leute auf dasselbe wie wir: einen Eintrittsstempel, eine Garderobenmarke und ein Glas Sekt. Ein Wunder hätte geschehen müssen, damit sich diese drei Wünsche für Theo und mich bis Punkt Zwölf erfüllten. Mir wurde klar, dass ich den magischen Moment des Jahreswechsels in einem finsteren Hinterhof verbringen würde, in einem finsteren, versifften Hinterhof, zusammen mit Theo und ein paar Leuten, die es wie wir nicht geschafft hatten, im entscheidenden Moment pünktlich zu sein.
    »So’n Scheiß, Mann«, fluchte ich.
    »So’n Scheiß, Mann«, echote Theo und rempelte mich an. Er schenkte mir ein spöttisches Lächeln und gab mir zu verstehen, dass ich hier mal wieder irgendetwas überbewertete.
    Lektio n 2: Berlin für Fortgeschrittene heißt nicht, auf jeder angesagten Party zu tanzen, sondern lediglich zu wissen, wo sie stattfindet, und dann nicht hinzugehen.
    Ich schaute auf mein Handy. Noch vier Minuten bis Mitternacht.
    »Un d – irgendwelche guten Vorsätze fürs neue Jahr?«, fragte ich Theo, um die letzten Minuten zu überbrücken.
    »Nö.«
    Theo kramte in seiner Jackentasche und fand einen Zigarettenfilter. »Halt mal.«
    Es machte ihn sichtlich nervös, als er feststellte, dass sich in der anderen Jackentasche weder Tabak noch Papers befanden.
    »Bin gleich wieder da.«
    Theo lief in Richtung Eingang und schnorrte unterwegs sämtliche Leute nach Tabak an. Irgendwann war er im Gedränge verschwunden.
    Die wartenden Gäste hatten sich zu Grüppchen zusammengetan. Einige Leute hatten auf die Schnelle Sekt organisiert. Ich hatte die Hoffnung inzwischen aufgegeben, Theo in diesem Jahr noch mal zu sehen, und stand allein in der Menge. Ich atmete die eiskalte Luft, die bereits nach Rauch schmeckte. Jemand warf von einem Balkon aus Böller in den Hof. Die Wände katapultierten das Echo der Explosionen in meine Ohren, dass es fast wehtat. Ein Mädchen schimpfte lauthals, als ein Geschoss Funken schlagend an ihm abprallte und wenige Zentimeter weiter in einer Schneepfütze erlosch. Ich fühlte mich winzig. Ich spürte den Zigarettenfilter in meiner Hand. Die letzten Sekunden vergingen wie in Zeitlupe. Jemand begann von zehn an rückwärtszubrüllen.
    Und plötzlich war der Himmel wie ein viel zu großer, bunter Hut auf meinem Kopf.

Heute vor einem…
    Heute vor einem Jahr saßen wir bei 1 5 Grad minus auf der Treppe vorm Pik und haben Schawarma gegessen. Mit Zwiebeln und fetter Knoblauchsoße. So wie ich sie liebe. Außerdem: Hätte ich sie ohne Zwiebeln und Knoblauchsoße bestellt, hättest du ja sofort gewusst, dass ich dich küssen will. Du solltest bloß nicht
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