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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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denken, dass ich dich küssen wil l – du Angeber! Aus der Alufolie haben wir uns Ringe gebastelt und an die Finger gesteckt. Nach dem Kuss. Er hat ja trotzdem so gut geschmeckt.
    Das war unsere Verlobung. Ich weiß, wir haben es nicht so genannt, aber über unsere Zukunft haben wir geredet, bis die Sonne aufging. Das ist doch besser als jede Scheißverlobung.
    Ich werde mir nachher eine Schawarma kaufen. Mit extraviel Zwiebeln. Bei Fatih, der mir mit einem Zwinkern auch »extraviel scharf« anbietet. Nein, danke. Nix Zwinkern. Nix scharf. Und dann setze ich mich an den Kanal und werde in meine Schawarma beißen und dabei kein bisschen an dich denken, Serjoscha.

Robert kam aus…
    Robert kam aus der Schweiz, lebte zurzeit mit ein paar Leuten in einem besetzten Haus in Amsterdam und hatte lange blonde Haare.
    Das war der Stand der Dinge, als unsere Lippen kollidierten.
    Zwischen dieser Kollision und dem Morgen danach lagen eine Handvoll Stunden, die absolut nicht erklärten, warum Robert plötzlich neben mir lag, nackt und schnarchend, ans Tageslicht gebracht wie ein großer Irrtum.
    Mein schwerer Kopf verhinderte, dass ich sofort aufsprang und davonrannte, viel mehr aber noch die Tatsache, dass ich in meinem Bett lag, in meinem Zimmer und es keinen Ort gab, an den ich mich hätte flüchten können. Nicht in diesem Zustand. Also betrachtete ich eine Weile lang Robert und versuchte, ihn ebenso schön wie in der Nacht und die Situation harmlos und richtig zu finden. Doch die gemeinsam geleerte Flasche Sekt lag noch hinter meiner Matratze und ihr bloßer Anblick löste eine Welle der Übelkeit in mir aus.
    Robert aus der Schweiz grunzte und drehte sich auf die Seite. Ich starrte auf das zerkratzte Etikett der Sektflasche mit der geschwungenen goldenen Schrift darauf, das gestern irgendeinen feierlichen Anlass verhießen hatte, und betrachtete den ausgefransten Aluminiumkragen des Flaschenhalses. Die Tatwaffe eines Verbrechens, das ich nicht begangen haben wollte.
    Ich schloss die Augen und Bilder der letzten Nacht kehrten unweigerlich zurück, verdreht, überbelichtet, wie im Zeitraffer.
    Zuallererst: mein verzweifeltes Bemühen, zwischen den Leuten im Club auf Theo zu treffen, diesen Vollidioten, der mich für eine Kippe einfach hatte stehen lassen. In meinem Wintermantel hatte ich den Blauen Salon durchquert, weil die Schlange an der Garderobe viel zu lang gewesen war, weil ich allein eigentlich gar nicht dort sein wollte. Als ich Theo nicht fand, wurde ich fast panisch. Die Hitze machte alles nur noch schlimmer und hinderte mich daran herauszufinden, was jetzt das Vernünftigste wäre.
    Am liebsten hätte ich den Club fluchtartig verlassen. Aber zwischen mir und meinem Zimmer lagen mindestens zehn U-Bahnhöfe, lag eine Stadt im Chaos, in der es keine Straßen mehr gab, nur noch Fronten, die unter farbenfrohem Beschuss standen. In unserer Straße hatte bereits bei unserem Aufbruch angespannte Stimmung geherrscht. In unserer Straße war immer was los, so ist es nicht. Seit ich da wohnte, erkannte ich ein Polizeiauto an dem Geräusch seines Motors.
    Als Theo und ich aus der Haustür gekommen waren, hatten sich ein paar Jungs auf beiden Straßenseiten versammelt, schrien sich an und bewarfen sich gegenseitig mit Knallern. Einige von ihnen kannte ich sogar vom Sehen, was mich nicht im Geringsten beruhigte. Ich verstand nicht, was sie sich zuriefen, aber ihre Gesten waren eindeutig und die Wortführer tänzelten auf den Bordsteinen, um zu zeigen, dass das bisschen Straße zwischen ihnen kein Hindernis war. Theo amüsierte so was. Den konnten irgendwelche Chaoten in Partystimmung nicht aus der Ruhe bringen. Aber Theo war eben Theo. Und Theo war nicht mehr bei mir.
    Ich zog meinen Mantel aus und verstaute ihn hinter einer der Musikboxen, nachdem ich meinen Haustürschlüssel in die Tasche gesteckt hatte. Mein nächstes Ziel war die Bar. Ich hatte viel Zeit, um Leute zu beobachten, Theo zu entdecken, vielleicht. Aber Theo schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    Dafür traf ich auf Robert. Er stand in der Schlange direkt hinter mir. Irgendwann fragte er mich, ob man hier gute Cocktails bekäme. Seine Stimme vermischte sich mit seinem Duft und mit dem rauen Gefühl auf meiner Wange, als unsere Gesichter sich berührten. Ich wusste mit dem Instinkt und dem verzweifelten Mut, den man an Silvesterabenden entwickelt, dass wir uns küssen könnten. Wir beschlossen, die Cocktails in diesem Laden einer ausführlichen Testreihe zu
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