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Rheingold

Titel: Rheingold
Autoren: Stephan Grundy
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DAS GESCHENK
    Sigfrid lag keuchend auf der Holzbank vor Regins kleiner Schmiede. Der frische Wind der ersten Sommertage kühlte sein glühendes Gesicht. Die langen Beine hingen über den Rand der Bank, die schwieligen Füße reichten bis zur Erde. Die Enden seiner langen Zöpfe streiften den Boden, und wo die Sonnenstrahlen die braunen Haare trafen, schimmerten sie rotblond.
    »Für einen Jungen ist das keine schlechte Tagesarbeit«, sagte Regin, der mit kohlschwarzen Fingern bedächtig aus der Schmiede kam. Sigfrid setzte sich schnell auf, und seine leuchtenden Augen richteten sich flink wie eine Natter auf den alten Mann. »Ich kann noch weitermachen!« rief Sigfrid, »ich bin überhaupt nicht müde - oder nur ein bißchen«, räumte er ein, als die dunklen, scharfen Augen des alten Schmieds betont lange auf Sigfrids zitternden Armen ruhten. »Ganz bestimmt, ich könnte den Hammer bis zum Sonnenuntergang schwingen.«
    Der kleine alte Mann schüttelte den großen grauen Kopf. Obwohl der zwergenhafte Schmied stand und der dreizehnjährige Sigfrid saß, trafen sich ihre Blicke auf gleicher Höhe. »Du bist noch zu jung, Sigfrid. Wenn ich dir deinen Willen lasse, dann zerrst du dir die Muskeln oder es reißt eine Sehne in deinen Armen. Und wie willst du dann ein Schwert halten?«
    »Ach, ich paß schon auf«, versicherte Sigfrid eifrig und wollte aufspringen, aber Regin legte ihm die schwere Hand auf die Schulter. »Alles zu seiner Zeit, Sigfrid. Siehst du die Sonne am Himmel?«
    Sigfrid blickte zur Sonne, die sich über dem dunklen Tannenwald rotglühend den felsigen Berggipfeln näherte.
    »Was würde wohl geschehen, wenn die Hengste Arvakr und Alsvidr zu schnell mit dem Sonnenwagen über den Himmel galoppieren würden, und wenn sie so unbändig wie du wären?«
    Der Junge sah in Gedanken die beiden Rösser mit den goldenen Mähnen so schnell über den Himmel jagen, wie er den Berghang von Regins Schmiede hinunter zum Rhein stürmte, dabei auf Blättern und Schlamm ausrutschte und manchmal über eine Baumwurzel oder einen ausgebleichten Knochen stolperte. Er stellte sich vor, wie die Sonne pfeilschnell mit feurigen Haaren und wild flatterndem Mantel von Ost nach West jagte und ihre Pferde anspornte, während der Mond seine eisfahlen Hengste peitschte, um mit ihr Schritt zu halten. Tag und Nacht würden wie funkelnde Blitze hell und dunkel über den Himmel zucken.
    »Oh, das wäre schön!« rief er begeistert, »stell dir nur vor...«
    Der Schmied gab ihm eine schallende Ohrfeige - so fest, daß Sigfrid die Tränen in die Augen stiegen, aber nicht fest genug, um ihn zu verletzen.
    »Dummkopf«, sagte er, aber es klang nicht böse, »deshalb verläßt dich beim Schmieden die Kraft, verstehst du? Wenn du dich wie das Gespann dort oben zügeln würdest«, er deutete zur Sonne hinauf, »dann könntest du jetzt noch arbeiten und hättest bei Einbruch der Dunkelheit deinen Dolch vielleicht fertig gehabt.«
    »Aber ich kann doch weitermachen, und es trotzdem versuchen...«, entgegnete Sigfrid. Er sprang auf und reckte den großen, schlanken Körper, so daß die Muskeln an Armen und Beinen deutlich unter der rußverschmierten Haut hervortraten. »Je schneller ich mit diesen Kleinigkeiten fertig bin, desto schneller kann ich mein Schwert schmieden.«
    »Schneller?« brummte Regin, »komm, wir gehen hinunter zum Fluß, bevor es zu dunkel wird. König Alpercht würde mich umbringen, wenn ich dich so lange arbeiten ließe, bis du ein Krüppel bist. Außerdem müssen wir uns beide waschen.« Er schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte: »Ha, schneller...! Ich warte auf mein Gold beinahe zehnmal so lange wie du alt bist, und es wird noch Jahre dauern, bis ich es bekomme. Und hast du von mir schon einmal das Wort ›schneller‹ gehört? Bestimmt nicht! Also los, gehen wir hinunter zum Fluß.«
    Sigfrid nickte, drehte sich um, rannte über die kleine Lichtung und lief ausgelassen den ausgetretenen Pfad entlang. Er sprang wie ein junger Hirsch über die dürren Äste, die auf dem Weg lagen. Die Stürme, mit denen der Winter beim letzten Vollmond, dem Mond der Göttin Ostara, endgültig gewichen war, hatten sie von den Bäumen gerissen. Regin folgte seinem Schützling langsam. Er blieb hin und wieder stehen und zog für das Abendessen ein paar braune Pilze mit dicken weißen Stielen aus dem modrigen Waldboden, wo sich Jahr für Jahr neue Schichten ablagerten, auf denen dann grünes, weiches Moos wuchs. Aber plötzlich eilte er
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