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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied
Autoren: Britta Keil
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mal einer sagen, was hier los ist?«
    Ich spürte Theos Blicke in meinem Rücken, ich fühlte, wie auch Mila mich anstarrte, und da lag immer noch dieser Brief.
    Die Worte waren plötzlich in meinem Mund.
    Sie waren plötzlich einfach da und ich sprach sie aus, ohne nachzudenken.
    »Mila soll abgeschoben werden.«
    Dann gab es einen Knall. Es war die Küchentür. Ich sah auf, Mila hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Ihr Blick durchbohrte mich.
    »Ich hasse dich«, sagte sie ruhig, ging an mir vorbei, eine zarte Wolke aus Pfefferminz, und dann knallte die Tür ein zweites Mal.
    Über den Flur drang Geschrei. Ich huschte in mein Zimmer und schloss die Tür ab. Ich legte mich ins Bett, stopfte mir Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik auf. Ich starrte die Wand an. Ich schlug mit der Faust dagegen, dass es wehtat. Ich zog mir die Decke über den Kopf, ich presste die Augen zu, nichts half. Immer wieder sah ich Milas Gesicht, ihre schönen, bösen Augen.
    Der Morgen kam irgendwie. Als ich aufwachte, hatte ich noch immer die Stöpsel in den Ohren. Mein Bett war nass geschwitzt oder geheult, keine Ahnung. Es war hell draußen. Die Vögel zwitscherten. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.
    Ich stieg die Leiter hinunter, drehte leise den Schlüssel um und spähte auf den Flur hinaus. Alles war still. Ich ging in die Küche. Der Brief war weg, das Buch auch. Neben dem Herd stand immer noch der Topf mit altem Popcorn. Seit Wochen stand der nun schon da. Irgendwie war alles aus den Fugen geraten.
    Ich ging ins Bad und erstarrte. Milas Zahnbürste war verschwunden, genau wie ihr Duschgel und ihre Haarbürste. Ich rannte in mein Zimmer und zurück in den Flur, ich blieb vor Theos Tür stehen und lauschte. Stille. Dann flog die Tür plötzlich auf und Theo kam heraus. Er hätte mich fast über den Haufen gerannt.
    Ich erhaschte einen Blick in sein Zimmer und sah, dass Milas Sachen nicht mehr da waren.
    »Theo!«, rief ich und lief ihm hinterher zum Bad.
    »Lass mich in Ruhe«, brummte er und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich hämmerte dagegen, aber er machte nicht auf.
    »Wo ist Mila?«, rief ich. Er antwortete mir nicht. »Theo! Theo, mach auf! Wo ist Mila?«, rief ich noch mal und dann hörte ich, wie die Dusche anging.
    Nachdem er eine halbe Ewigkeit im Bad zugebracht hatte, passte ich Theo im Flur ab. Er versuchte, mir auszuweichen, aber ich stellte mich ihm in den Weg. Ich musste endgültig den Verstand verloren haben.
    »Wo ist Mila?«, fragte ich, tänzelte rückwärts und stemmte mich in den Türrahmen zu seinem Zimmer.
    »Weg.«
    »Wi e – weg?«
    »Ich hab sie rausgeschmissen.«
    »Was?«
    »Lass mich durch, Rike«, sagte Theo bedrohlich leise.
    »Und wo ist sie jetzt?«
    »Ist mir scheißegal. Rike, lass mich durch.«
    Er wollte schon nach meinem Arm greifen, da ließ ich ihn freiwillig durch. Zwei Sekunden später schlug die nächste Tür vor meiner Nase zu. Ich wagte es nicht, die Türklinke auch nur zu berühren.
    Doch ich blieb, wo ich war. »Theo, bitte. Bitte lass uns doch reden. Ic h … es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich wusste doch auch nicht, das s …«
    Da ging die Tür wieder auf.
    »Jetzt hör mir mal ganz genau zu, mein Fräulein«, sagte Theo ruhig, aber sehr beherrscht. »Du suchst dir am besten auch so schnell wie möglich ’ne neue Bleibe und bis dahin verschonst du mich mit dem ganzen Psychoterror, klar? Ihr habt sie doch nicht mehr alle!« Dann flog die Tür zu und wurde von innen abgeschlossen.
    Die Tage darauf verbrachte ich in einer Art Dämmerzustand. Was geschehen war, kam mir vor wie ein Albtraum. Und genau so bewegte ich mich auch fort: wie eine Schlafwandlerin.
    Doch allmählich lichtete sich der trübe Schleier und ich kam wieder zu Bewusstsein. Nichts deutete mehr darauf hin, dass Mila jemals bei uns gewesen war, sie hatte nichts zurückgelassen. Der dritte Haustürschlüssel hing wieder am Nagel neben der Spüle, der dritte Stuhl in der Küche diente Theo wieder als Ablage für seine Zeitschriften. Nach jenem Montagmorgen hatte ich es nicht mehr gewagt, Milas Namen in seiner Gegenwart auch nur zu erwähnen, obwohl ich an nichts anderes denken konnte.
    Das taube Gefühl wich allmählich einem anderen, noch viel schrecklicheren Gefühl: Schuld. Ich war schuld daran, dass Mila nicht mehr hier war. Meinetwegen hatte sie jetzt vermutlich nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf. Aber dass sie noch einmal hier auftauchen würde, war
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