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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein
Autoren: Marlene Röder
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mir braun ist, ist bei ihm weiß.
    „Hey …“ Meine Stimme klingt hoch und zittrig. „Ich bin Melina. Ich … ähm … ich hab dich aufgeweckt. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Vielleicht sage ich das eher zu mir selbst als zu ihm.
    Er bewegt sich jetzt da oben und auf einmal habe ich Angst, er könnte mich anspringen. Aber dann sehe ich, wie er die Beine ausstreckt und mit den Füßen nach festem Grund tastet. Wie ein Schwimmer, der all seinen Mut zusammennimmt, um sich vom sicheren Ufer in ein Gewässer von unbekannter Tiefe gleiten zu lassen.
    Ich weiche zurück und im nächsten Moment kracht er vor mir ins Gebüsch. Schwerfällig versucht er, zwischen den umgeknickten Farnen auf die Beine zu kommen. Er kippt immer wieder um, weil seine Flügel ihn nach hinten ziehen.
    Pippa kichert. „Okay, der sieht nicht besonders gefährlich aus.“ Tatsächlich erinnern mich die Bewegungen des Jungen eher an frisch geschlüpfte Störche, wie ich sie neulich im Fernsehen gesehen habe.
    „Du willst aufstehen, was?“, frage ich. „Warte, ich helfe dir!“ Ich beuge mich zu ihm hinunter und packe seine Marmorhände. „Eins, zwei … drei!“ Mit aller Kraft ziehe ich sein Steingewicht hoch.
    „Achtung!“, schreit Pippa ängstlich. „Gleich fallt ihr auf mich drauf und quetscht mich platt!“
    Aber wir fallen nicht. Schwankend bleiben wir stehen. Der Steinjunge ist einen Kopf größer als ich. Ich schnaufe vor Anstrengung. Bei ihm kann ich nicht mal erkennen, ob er überhaupt atmet.
    Doch ich bin mir jetzt ziemlich sicher, dass er mich sehen kann, denn er schaut mich direkt an.
    „Jetzt laufen wir ein paar Schritte“, verkünde ich zuversichtlicher, als mir zumute ist.
    Ich halte seine kalten Hände und laufe rückwärts, während der Steinjunge mir taumelnd folgt. Pippa ist auf meine Schulter geklettert und zwitschert Anweisungen: „Den linken Fuß he-e-e-ben, ja, genau so, und wieder aufsetzen …“ Manchmal droht er hinzufallen, dann muss ich ihn stützen. Aber als wir erst mal den gekiesten Friedhofsweg erreicht haben, klappt es mit dem Laufen immer besser.
    „Super!“, lobe ich ihn und lasse ihn vorsichtig los. „Jetzt bist du so weit, es alleine zu versuchen.“ Ich hätte nicht gedacht, dass eine Statue ängstlich aussehen kann, aber diese tut es. „Nur ein paar kleine Schritte, guck, ich geh nicht weit weg.“
    Langsam, den Blick konzentriert auf mich gerichtet, kommt er auf mich zu. Ich gehe immer weiter zurück und er schafft mindestens fünf Meter ganz allein.
    „Du kannst laufen!“, rufe ich begeistert. So ähnlich muss sich eine Mutter fühlen, wenn ihr Kind die ersten Schritte macht.
    Da bleibt der Steinjunge stehen und hebt den Kopf. Er blickt sich um, als sehe er alles zum ersten Mal: die Bäume, die Grabsteine, mich und Pippa. Der Regen ist in den letzten Minuten stärker geworden, überall um uns herum plätschert und prasselt es. Der Steinjunge wendet sein Gesicht nach oben zum wolkenverhangenen Himmel und fängt die Tropfen mit seiner weißen Zunge. Erstaunlich, dass er eine Zunge hat, wo der Bildhauer ihn doch mit geschlossenem Mund gemacht hat. War sie im Stein verborgen gewesen? Oder hat er sie erst in dem Moment bekommen, als er lebendig wurde?
    Ich strecke ebenfalls meine Zunge heraus und spüre den Geschmack nach Herbst, die Regentropfen auf meiner Haut. Ich lache. Denn obwohl die kalte Nässe langsam durch meine Jacke kriecht, hat sich schon ewig nichts mehr so gut angefühlt.
    Der Marmorjunge lacht auch, lautlos, wie vermutlich Steine lachen.
    „Du brauchst einen Namen! Jemand, der lachen und laufen kann, braucht einen.“ Ich werfe einen Blick zurück auf seinen Sockel und lese den Namen, der darin eingemeißelt ist. „Willhelm … Ich werde dich Will nennen, einverstanden?“
    Zuerst denke ich, ich hätte mich getäuscht, denn ich höre etwas wie ein Echo. Aber dann begreife ich, dass der Steinjunge seinen Namen wiederholt, ihn probeweise im Mund hin und her bewegt. „Will … Will … Will.“ Seine Stimme klingt rau.
    „Du musst jetzt wieder schlafen, Will“, erkläre ich ihm. „Ich muss nach Hause. Aber morgen nach der Schule komme ich und wecke dich, versprochen.“
    Ich führe Will zurück zu seinem Sockel und helfe ihm, wieder hinaufzuklettern. Als er oben ist, berühre ich kurz seinen Fuß und schicke all meine Müdigkeit in ihn hinein.
    Er versteinert vor meinen Augen.

Nudeln mit dem ganzen Garten
    „Du darfst nicht mehr hingehen. Es ist nicht richtig“, sagt
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