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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein
Autoren: Marlene Röder
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selber Nudeln mit Ketchup machen.“
    Frau Rose würde ihren Kindern bestimmt etwas Leckeres kochen und sie fragen, wie es in der Schule war.
    „Ich hab’s! Wir gehen Jonas besuchen“, schlägt Pippa vor.
    „Ohne Mama?“
    „Komm schon, wir kennen den Weg. Es ist nicht weit. Und auch tote Leute brauchen mal Besuch. Kleine Brüder vor allem.“ Pippa macht eine kurze Pause und fügt hinzu: „Du hast ihn nicht zu deiner Familie gemalt. Hast du ihn vergessen?“
    Jonas mit den speckigen Babyhänden, mit seinem Sabbern und Glucksen und seinem Gewicht auf meinem Arm, das mir sagte, dass ich seine große Schwester bin.
    Mein Gesicht brennt vor Scham, und meine Augen, die brennen auch. „Hab ich nicht. Werd ich nie. Aber es ist alles so kompliziert.“ Ich zeige auf die älteren Jungs, die immer noch dem Fußball hinterherjagen. „Ich wünschte, ich hätte einen lebendigen Bruder. Vielleicht einen, der älter ist.“ Diese Jungs sehen nicht so aus, als würden sie im Schlaf sterben.
    „Wenn du Pech hast, erwischst du so einen Stinkstiefel wie diesen Maik! Und dann sitzt du da und guckst doof!“ Pippas Versuche, mich aufzumuntern, sind manchmal gewöhnungsbedürftig.
    „Nee, den würde ich umtauschen. Ich will einen, der Witze macht und cool ist und richtige Tomatensoße kochen kann.“ Ich seufze, denn ich habe nur einen kleinen Bruder und der wohnt auf einem Friedhof. „Gehen wir Jonas besuchen.“
    Auf dem Friedhof ist es ruhig. Selbst die alten Damen mit ihren Gießkannen, die Mama und ich sonst immer treffen, sind heute nicht da. Wahrscheinlich weil es angefangen hat zu nieseln. Der Regen füllt die Luft mit feinen Bleistiftstrichen. Ich ziehe mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf.
    Auf dem Weg begegnen wir dann doch jemandem. Ich habe ihn „den Steinkauz“ getauft, weil er immer um die Grabsteine herumschleicht. Der alte Mann trägt einen grauen Pferdeschwanz und einen dreckigen Regenmantel. Bei unserem letzten Besuch hat Mama mich eilig an ihm vorbeigezogen.
    Der Steinkauz spannt gerade ein weiß-rot gestreiftes Absperrband um einen Grabstein, der aus der Erde ragt wie ein schiefer Zahn. „Der muss abgestützt werden, sonst fällt er bald um“, brummt er, als er bemerkt, dass ich ihn beobachte. Er riecht nach nasser Erde und Rauch.
    Schnell gehe ich weiter. Ich spüre den Blick des Mannes in meinem Nacken kribbeln. Wahrscheinlich kommen nicht oft Kinder alleine her.
    „Hier ist es ein bisschen unheimlich“, flüstere ich Pippa zu.
    „Quatsch, ist doch schön“, flüstert sie zurück. „Hör mal!“
    Die Regentropfen säuseln auf den Blättern der alten Bäume. Es hört sich an wie Stimmen hinter einer geschlossenen Tür, die man leise hört, bevor man einschläft. Vögel zwitschern irgendwo versteckt in den Ästen. Ich atme tief durch und fühle, wie ich ruhiger werde und dieser ganze blöde Tag hinter dem Friedhofstor zurückbleibt.
    Pippa und ich finden Jonas’ Platz sofort.
    Sein Stein ist noch nicht fertig, deshalb hat er nur ein einfaches Holzkreuz. „Jonas Bender“ steht darauf, daneben zwei Zahlen. Der Bindestrich dazwischen hat nicht mal ein halbes Jahr gedauert.
    Unter dem Kreuz hockt der Stoffhund, den Mama für Jonas genäht hatte. Er hat immer in seinem Bettchen gesessen. Auch in der einen Nacht. In meinen Träumen wird der Hund manchmal lebendig, ein vergilbter Fetzen mit Friedhofserde im Maul.
    Für nichts auf der Welt würde ich den anfassen.
    Die angenähten Knöpfe, die seine Augen sind, starren ins Leere. Der Hund macht mir Angst. Darum schaue ich schnell zu den Blumen, die Mama und ich letztes Mal gepflanzt haben. Sie blühen noch.
    „Hallo, Jonas. Hier ist deine Schwester, du weißt schon, Melina“, begrüße ich ihn. Es fühlt sich bescheuert an, mit einem Holzkreuz zu reden. „Wir haben ihm nicht mal was mitgebracht, Pippa!“
    Gern hätte ich jetzt irgendwo dagegengetreten, vielleicht gegen mein eigenes Schienbein. Pippa stöbert währenddessen im Gebüsch herum. Ihr kleiner Körper ist zwischen den nassen Gräsern verborgen, ich kann nur sehen, wo die Halme sich bewegen und glänzende Regentropfen zu Boden fallen.
    „Warte, ich hab was!“, ruft sie plötzlich. „Oh ja, das ist schön!“ Ich beuge mich zu ihr herunter und Pippa legt mir etwas in die hohle Hand.
    Es ist eine leere Eierschale. Ein zartblaues, hauchfeines Ding, von braunen Tupfen gesprenkelt wie von Sommersprossen.
    „Die ist für dich, Jonas“, flüstere ich und bette die Eierschale auf die
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