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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein
Autoren: Marlene Röder
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hierbleiben“, brummt Hubertus. „Der Junge ist geschickt mit Steinen und ein bisschen Hilfe in der Werkstatt könnte ich gut gebrauchen.“
    Ich glaube eher, dass Hubertus ein bisschen Gesellschaft gut gebrauchen könnte.
    „Will kann uns ja bald selbst sagen, was er möchte“, schlägt Jessie vor. Jetzt sehen beide mich an. Bald. Sobald ich ihn aufgeweckt habe.
    Die anderen warten draußen, als ich zögernd die Werkstatt betrete. Will liegt auf dem Boden, mitten im Raum. Hubertus hat gute Arbeit geleistet. Seine Schultern sind ganz glatt, nichts deutet mehr darauf hin, dass hier einmal Flügel waren. Er sieht aus wie die Statue eines schlafenden Jungen.
    Ich knie mich neben ihn. „Hey, Will“, flüstere ich. „Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war.“ Es ist leichter für mich, es auszusprechen, wenn er schläft. „Keine Angst, jetzt halte ich mein Versprechen. Jetzt helfe ich dir, endlich das zu werden, was du innen drin schon lange bist.“
    Dann lege ich meine Hände auf seine Brust und mache Will das allergrößte, allerschönste Geschenk, das er sich vorstellen kann. Von nun an wird er jeden Morgen von allein seine Augen aufschlagen. Er wird ein Mensch sein – mit allem Guten und Schlechten, was dazugehört.
    Als ich meine ganze Gabe in ihn strömen lasse, spüre ich deutlich: Das ist das letzte Mal, dass ich etwas Unbelebtes zum Leben erwecke. Unter meinen Fingern erwärmt sich der Stein. Ich kann Wills Herzschlag spüren.
    „Wach auf, Will!“, flüstere ich. Und er schlägt die Augen auf.

Warum schreiben Menschen Briefe?
    In den letzten Monaten hat sich einiges verändert. Der Lappland-Winter zog sich zurück und die ersten Schneeglöckchen steckten ihre Knospen aus der Erde. Jonas bekam endlich einen Grabstein. Wir waren alle dabei, als Hubertus ihn aufstellte: Mama, ich und auch Paps.
    Paps arbeitet jetzt etwas weniger. Dafür lächelt Mama etwas mehr. Doch die Reste der Traurigkeitskrankheit tauen nur langsam weg, wie alte Schneehaufen.
    Ich muss mir immer noch alleine meine Schulbrote schmieren. Aber ich habe entdeckt, dass das eigentlich ganz okay ist. Dann kann man nämlich selbst entscheiden, was auf das Brot kommt. Es muss ja nicht jeden Tag Nutella sein – auch wenn Pippa das sicher anders sehen würde.
    Seit dem Tag, an dem ich Anubis geweckt habe, ist sie verschwunden. Nachts liege ich manchmal wach und frage mich, wo sie wohl steckt. Morgens renne ich als Erstes zum Briefkasten, um nachzusehen, ob sie vielleicht geschrieben hat.
    An einem Frühlingsmorgen leuchtet mir zwischen weißen Umschlägen ein gelber entgegen. Ich reiße ihn auf und ziehe ein gefaltetes Blatt Papier heraus. Die Schrift darauf ist krakelig, als hätte eine sehr kleine Person Mühe mit einem für sie sehr großen Stift gehabt. Unten in einer Ecke klebt etwas, das aussieht wie ein Stück von einer Pflanze.
    Liebe Melina,
    hat Jessie meine Nachricht gefunden? Ich hoffe, dass ihr Anubis zusammen besiegen konntet.
    Du errätst nie, wo ich bin: in Anubis’ alter Heimat! Ich habe dir ja gesagt, dass ich als Forscherin die Welt bereisen werde.
    Hier in Ägypten ist es sehr heiß und es gibt viele seltsame Pflanzen zu entdecken. Das Aufgeklebte ist ein Stück Papyrus. Du weißt ja, darauf haben die Menschen ihre ersten Briefe geschrieben. Wenn sie jemanden vermisst haben, zum Beispiel.
    Bestimmt gibt es bei dir auch vieles zu entdecken. Und ich glaube, das schaffst du in Zukunft auch ohne mich!
    Vergiss mich nicht!
    Deine Pippa
    PS : Grüß den Kleinen von mir! Vielleicht hat er ja Lust, mein Gehilfe zu werden?
    Ich lasse den Brief sinken. Im ersten Moment bin ich traurig, dass Pippa nicht zurückkommen wird. Aber dann schimpft eine kleine Stimme in mir: Was gibt’s denn da für einen Grund, traurig zu sein?! Pippa ist Forscherin und folgt ihrem Traum!
    Da wird mir klar, dass Pippa mich auf ihre Art immer begleiten wird. Wenn ich die Augen schließe und in mich hineinfühle, kann ich ihn spüren: diesen kleinen rosa Punkt, der in mir glüht.
    „Hey, Melina! Schlaf nicht ein!“ Diese Stimme kenne ich.
    Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich Jessie und Will drüben auf der anderen Straßenseite stehen. „Kommst du?“, ruft Jessie. „Wir wollen los!“
    „Komme schon!“ Ich lasse Pippas Brief in meine Hosentasche gleiten und werfe einen letzten Blick zurück auf unser Haus. Oben im ersten Stock bewegt sich eine Gardine. Meine Mutter winkt mir zu. Ich winke zurück. Dann laufe ich über die Straße, zu
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