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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein
Autoren: Marlene Röder
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knallt Anubis mit voller Wucht gegen die Schnauze. Aus dem Gleichgewicht gebracht wankt er – und geht zu Boden.
    „Los, Melina! Das ist deine Chance! Lass ihn einschlafen!“, ruft Will. Ich beuge mich über Anubis. Sein Maul verzieht sich zu einem höhnischen Grinsen, als er mir weitere Bilder entgegenschleudert. Du kannst mich nicht besiegen!, sagt dieses Grinsen. Ich weiß, wer du wirklich bist!
    Ich sehe mich, wie ich das Geld meiner Mutter stehle. Ich sehe Will, der voller Angst vor mir zurückweicht.
    Plötzlich fühle ich Wills warme Hand, die meine drückt. „Hör nicht auf den“, sagt er und lächelt mich an. „Denk an die guten Sachen. Denk daran, wie du mir beigebracht hast, ein Mensch zu sein.“
    Ich denke daran, wie ich mich dabei gefühlt habe, Will seine ersten Schritte machen zu sehen. An den leuchtend gelben Robinienzweig, den Mama mir für mein Herbarium geschenkt hat. Wie gut die Nudeln mit dem ganzen Garten geschmeckt haben, die wir alle zusammen gegessen haben. Wie ich mich mit Jessie vor Lachen auf dem Bett gekugelt habe. An das Geburtstagsbild von Will, Jessie und mir.
    Ich denke daran, dass ich jetzt weiß, wen ich in das Rechteck „Freunde“ zeichnen kann, wo vorher nur ein kleiner rosa Punkt war.
    Zusammen drücken Will und ich unsere Hände auf Anubis’ kalte Brust. Ich schicke all meine Traurigkeit, alle Steinschwere, alles Lappland, das in mir ist, in ihn hinein.
    Auf Anubis’ Brust leuchtet ein letztes Bild auf: Ich sehe mich selbst, wie ich alleine riesige Stapel von Schul-Nutella-Broten schmiere. Sie stürzen ein und begraben mich unter sich. Oder ist das Anubis, den sie begraben?
    Dann erlischt das Bild, genau wie das flackernde Leben in Anubis’ Augen.
    Er ist kein Gott mehr, nur noch eine Figur aus Stein.
    Erschöpft liegen Will und ich im Schnee. „Das war ja krasser als jeder Horrorfilm!“, keucht Jessie und lässt sich neben uns fallen.
    „Ohne dich hätten wir es nicht geschafft. Danke!“, sage ich. „Aber wie kommst du überhaupt hierher? Woher wusstest du …“
    „Das hier habe ich vorhin auf meiner Fensterbank gefunden.“ Jessie zieht einen zerknitterten Zettel aus ihrer Hosentasche. Die Schrift ist krakelig, als hätte eine sehr kleine Person Mühe mit einem für sie sehr großen Stift gehabt. Ich lese:
    Liebe Jessie,
    Melina und Will brauchen dringend deine Hilfe! Bitte komm heute Abend zum alten Friedhof.
    Eine Freundin
    „Als ich die Nachricht gelesen hatte, bin ich sofort los, ist doch klar!“, erklärt Jessie. „Dem Fiesling haben wir’s gezeigt! Wir sind ein super Team, oder?“ Sie klatscht mich ab wie nach dem Fußballmatch in der Sportstunde.
    Als sie dasselbe mit Will versucht, verzieht er das Gesicht. „Vorsicht, der Flügel …“
    Jessie hält verdutzt inne. Anscheinend hatte keiner der Zombies in ihren Horrorfilmen Flügel. „Oje“, sagt sie. „Ich kenn mich ja mit solchen Dingern nicht aus. Aber das sieht irgendwie schmerzhaft aus!“
    Tatsache, Wills linker Flügel hängt in einem so ungesunden Winkel herunter, dass ich kaum hinsehen kann. Das schlechte Gewissen steckt mir wie ein bitterer Kloß in der Kehle. Ich schlucke. „Bitte, kannst du mir mal helfen, Jessie?“
    Jessie legt sich Wills rechten Arm um die Schulter, ich mir seinen linken. Gemeinsam ziehen wir ihn vom Boden hoch. Halb stützen wir ihn, halb tragen wir ihn über den Friedhof. Als endlich die erleuchteten Fenster von Hubertus’ Werkstatt vor uns auftauchen, sind wir beide vor Anstrengung nass geschwitzt.
    Noch ehe eine von uns auf die Klingel drücken kann, fliegt die Tür auf und Hubertus kommt in Schlafanzug und Pantoffeln nach draußen gestürmt. „Was war das für ein Lärm?“, ruft er. Dann entdeckt er uns und seine buschigen Augenbrauen wandern vor Überraschung so hoch, dass ich Angst habe, sie könnten ihm gleich aus dem Gesicht purzeln. „Was ist passiert?“
    „Es gab einen Kampf. Will wurde verletzt“, antworte ich. Dann breche ich in Tränen aus.
    Hubertus führt uns in die Werkstatt und versorgt uns mit warmen Decken, Taschentüchern und Tee. Will sitzt zusammengekrümmt in einer Ecke, das Gesicht grau wie ein Grabstein. „Er braucht einen Arzt“, murmelt Hubertus und läuft unruhig in der Werkstatt hin und her. „Aber ins Krankenhaus können wir ihn nicht bringen. Einen Jungen mit Flügeln!“
    Ich wechsle einen langen Blick mit Will. „Es gäbe noch eine andere Möglichkeit …“, flüstert er und lächelt unsicher. „Hilfst du mir,
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