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Liebhaber der Finsternis

Liebhaber der Finsternis

Titel: Liebhaber der Finsternis
Autoren: Unbekannt
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England
Vier Tage bis Vollmond
    D ie Nacht war wolkenverhangen und es roch nach frisch aufgehäufter Erde und welkenden Blumen. Kalter Nebel kroch in Schwaden über die Gräber und verlieh dem uralten Friedhof zusätzliche Magie.
    Es war keine Wetterbesserung in Sicht, aber zumindest regnete es in dieser Nacht nicht. Schlechtes Wetter konnte Leah jedoch nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Ereignislose Nächte waren dieser vorangegangen.
    Sie fragte sich nicht das erste Mal, ob die Recherchen, die sie in den vergangenen Wochen betrieben hatte, fehlerhaft waren. Auch an dem Gerede, dass sich in dieser Gegend Vampire herumtrieben, begann sie zu zweifeln. Handelte es sich um Altweibergeschwätz, erlogen, um kleinen Kindern und Frauen Angst zu machen? Oder war es noch schlimmer, wollten selbst Geschöpfe der Dunkelheit nichts von ihr wissen? Sie war zu alt, sich etwas vorzumachen. Die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit hatten ihr jegliche Illusion geraubt. Es gab keine Prinzen auf weißen Rössern, die dahergeritten kamen, um sie wie im Märchen glücklich bis ans Lebensende zu machen. Es gab anscheinend nicht einmal einen normalen Mann, der dazu in der Lage war. Der Schmerz in der Brust wallte erneut auf. Sie hoffte inständig, hätte sie erst einmal ihr Ziel erreicht, dass der Schmerz nur noch einer schemenhaften Erinnerung gleichkäme. In den vielen Aufzeichnungen war immer wieder die Rede davon, dass Vampire gefühllos, kalt und unerschütterlich sind. Genau das schwebte ihr vor. Vielleicht würde sie dem einen oder anderen Ex-Geliebten das Fürchten lehren, wenn sie ihn des Nachts besuchen kam. Oh ja, bei diesem Gedanken ging es ihr besser. Was für eine Vorstellung! Sie war verzweifelt, aber nicht so verzweifelt, sich das Leben zu nehmen. Es ging darum, das Leben so zu gestalten, wie sie es sich vorstellte. Der Traum von einer Familie mit Kindern hatte sich nicht mit denen ihrer Ex-Männer gedeckt. Deshalb hatte sie ihn schließlich verworfen und durch diesen neuen ersetzt. Es war ein gutes Gefühl, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Und es gab noch einen weiteren Punkt, warum sie ein Vampir werden wollte: Sex! Wenn sie sich endlich wie ein Mann benehmen könnte, kam das der Vorstellung des neuen Ichs entgegen. Natürlich gab es genügend Frauen, denen es nichts ausmachte, einen One-Night-Stand nach dem anderen zu haben, aber sie gehörte nicht dazu. Sie war immer mit Gefühl bei der Sache gewesen. Meist war sie bis über beide Ohren verliebt, bevor sie überhaupt einen Gedanken an intimen Körperkontakt verschwendete. Genau das würde sich ändern. Die letzte Trennung war über ihre Kräfte gegangen. So tief hatte sie noch kein Mann verletzt. Undenkbar, dass diese Wunde je heilen könnte. Vielleicht hätte sie Verständnis gehabt, wenn sie hässlich wäre. Aber das Gegenteil war der Fall, sie war schlank, grazil, hatte smaragdgrüne Augen und einen klugen Kopf. Lange, honigfarbene Haare flossen ihr über die Schultern. Eigentlich besaß sie alles, was eine attraktive Frau ausmachte. Und doch war es nie genug gewesen, um einen Mann dauerhaft an sich zu binden. Ein erfolgreiches Studium in Design war der Einstieg zu einem eigenen Modegeschäft gewesen. Gut, sie war keine bekannte Designerin geworden, aber sie verdiente ihr eigenes Geld und war unabhängig vom Einkommen eines Mannes. Ab und an hegte sie den Verdacht, dass genau das das Problem war. Letztendlich war es egal, denn nun hatte sie keinen anderen Wunsch, als sich den Unsterblichen anzuschließen. Sie wollte keine Emotionen mehr besitzen, auf denen Männer herumtrampelten wie auf einem Fußabtreter. Sie hatte genug. Ihr Herz wurde zu sehr gebrochen.
    Sie zog die Decke fester um ihre Schultern. Fast hatte sie das Gefühl, als würde die Feuchtigkeit des Nebels bis in die Eingeweide kriechen. Aber es störte sie nicht, denn innerlich fühlte sie sich bereits tot, gestorben wie all die Menschen, die hier ruhten. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass Mitternacht bereits vorüber war. Leahs Hoffnung, sich in ein Geschöpf der Finsternis zu verwandeln, schwand dahin. Hatte sie einen Fehler begangen? Hatte sie sich vorschnell von ihrem Geschäft und der Wohnung getrennt? Es war zu spät, sich den Kopf zu zerbrechen, es gab kein Zurück. So oder so würde es einen Neuanfang geben.
    Langsam ließ sie den Blick über die verwitterten Gräber schweifen. Für sie würde es keinen Grabstein geben. Wozu auch, es würde sie keiner vermissen, offiziell
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