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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen
Autoren: Julia Kröhn
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angezogen wurden, doch kein anderes Gebiet wurde auch von Menschen aus dem Norden so überrannt. Sie kamen zwar mit friedlicher Absicht und dem Vorsatz, hart zu arbeiten, aber oft auch voller Unverständnis für den Glauben ihrer neuen Landsleute. Richard ließ nie Zweifel an seiner christlichen Gesinnung und mischte sich beharrlich in die Belange der Kirche ein, doch anders als seine fränkischen Nachbarn wandte er sich nie selbst an den Papst, hatte dieser doch oft genug zu verstehen gegeben, dass er den Grafen als Nachkommen von Piraten betrachtete. Und Richard mochte vieles tun, um sich nicht abzuheben, doch wenn man genau hinsah, wurde das Heer- und Rechtswesen mit strengerer Hand geführt als bei den Nachbarn.
    Längst war aus der Not eine Tugend gemacht worden, und die Menschen waren stolz darauf, keine Franken zu sein, sondern Normannen, einzigartig und geeint vom Geist der Normannitas, der Tapferkeit, Stärke und ruhmreichen Waffengebrauch verhieß. Doch auch dieses Wort, das man einem Schutzschild gleich vor Anfeindungen und Spott hochhielt, war etwas hohl geworden, nachdem sich ausgerechnet jene Männer der Normannitas rühmten, deren Vorfahren gar nicht aus dem Norden stammten: Immer wieder hatte Richard in den letzten Jahren Söldner aus Flandern, der Bretagne, der Picardie und dem Artois rekrutiert, und wenn diese vielen ausländischen Krieger auch rasch im normannischen Adel aufgingen, blieben sie den dänischen Aufständischen doch ein Dorn im Auge. Zwar hatten diese bislang keinen neuen Anführer wie Agnarr hervorgebracht und nie offen eine Rebellion gewagt, waren Richard vielmehr gehorsam und fühlten sich insbesondere der Frau an seiner Seite verpflichtet, doch Gunnora wusste, dass aus jedem Bächlein ein reißender Strom werden konnte, aus jedem Funken ein Feuer, aus jedem Streit ein Krieg, fehlte genügend Männern der Eifer zu beschwichtigen und sehnten sie sich stattdessen – ehrgeizig, skrupellos und machthungrig – nach Zerstörung.
    Der fremde Mönch leckte sich mit der Zunge über die Lippen, ehe er murmelte: »So einfach ist das nicht. Wenn ruchbar würde, dass Ihr eigenhändig einen Mann … einen Dänen ermordet habt, könnte das Unruhe stiften.«
    »Und warum seid Ihr dann hier bei mir und nicht bei den Dänen?«, fragte Gunnora scharf.
    Der Mann lächelte. »Seid doch nicht so feindselig! Ich stehe auf Graf Richards Seite, der Eures Mannes … Eures künftigen Mannes.«
    Gunnora deutete auf die Schriften. »Also wollt Ihr mich damit nicht bloßstellen, sie vielmehr als Pfand einsetzen, um ein anderes Ziel zu erreichen. Und welches ist das?«
    »Fragt lieber, woher ich komme …«
    Gunnora bebte innerlich vor Zorn. Seine Überheblichkeit setzte ihr ebenso zu wie die Einsicht, dass sie ihm ausgeliefert war, aber zugleich wusste sie: Menschen wie ihn strafte man am besten, wenn man ihnen die wahren Gefühle verschwieg.
    »Nun gut, woher kommt Ihr?«, fragte sie zwar widerwillig, aber erwiderte zugleich sein sattes Lächeln.
    »Aus dem Westen des Landes, aus Coutances. Dort gibt es ein Kloster und überdies den Plan, eine neue Kirche zu errichten, aber an allen Ecken und Enden fehlt das Geld. Wir haben kaum Bibeln, nur wenige Stundenbücher, und diese sind allesamt nicht illustriert. Bischof Gottfried, dem Coutances unterstellt ist, hat keinen Sinn für unsere Not.«
    Gunnora ahnte, worauf der Mönch hinaus wollte, gab sich aber unwissend. »Was habe ich damit zu tun?«, fragte sie forsch.
    Er antwortete nicht darauf. »Und von noch einem Ärgernis kann ich berichten«, fuhr er fort. »Die Mönche von Coutances, die einst, vor vielen Jahrzehnten, vor Angriffen der Nordmänner flohen und Unterschlupf in Rouen fanden, brachten damals die Gebeine ihrer heiligen Bischöfe Laudus und Rumpharius mit. Bis heute werden sie in der Kirche von Saint-Sauveur aufbewahrt, und obwohl in Coutances keinerlei Gefahr besteht, will man sie nicht mehr hergeben.«
    »Was habe ich damit zu tun?«, wiederholte sie.
    »Nun, auch in den anderen Klöstern des Westens ist die Lage nicht sonderlich rosig. Gewiss, der Mont-Saint-Michel ist nicht mehr verwaist wie noch vor einigen Jahrzehnten. Ein neues geistiges Zentrum ist mittlerweile dort entstanden, nicht zuletzt dank des Eingreifens Eures Mannes … Eures künftigen Mannes. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Kirche dort ebenso aufzubauen, wie die Kathedrale Notre-Dame und Saint-Ouen in Rouen unter seinem Großvater Rollo aufgebaut wurden oder das Kloster von
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