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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen
Autoren: Julia Kröhn
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einzelner Runen fragen. Stattdessen bedrängte sie sie, mehr über die nordischen Götter zu erzählen, wie sie hießen, welche Eigenarten sie hatten, worin sie besonders gut waren, wie die Menschen sie für sich einnehmen konnten.
    Thor, Odin, Loki, Njörd, Freya, Sig …
    Manchmal schrieb sie diese Geschichten in Runen auf, manchmal ihre eigene Geschichte oder vielmehr die ihrer Vorfahren. Christen waren darunter. Aber auch Heiden. Und sich vorzustellen, wie diese gelebt, geliebt, gewütet hatten, war ebenso unheimlich wie beängstigend und … aufregend.
    Agnes’ Blick fiel auf den letzten Namen, den sie geschrieben hatte: Asrun. Jene Frau hatte nie normannischen Boden betreten, sondern war in Norvegur, einem kalten, einsamen Land im Norden gestorben, vor nunmehr fast einem Jahrhundert.
    Ob diese Asrun hatte zaubern können? Ob sie alle Runen gekannt und entsprechende Macht gehabt hatte?
    Agnes’ Rücken überliefen Schauer, zugleich rann das Blut heiß durch ihre Adern, christliches Blut, aber auch heidnisches, gefährlich, verlockend, machtvoll.
    »Agnes, wo bist du denn?«, hörte sie Emma rufen.
    »Ich komme gleich.«
    Früher hatte sie Emma alles anvertraut, aber dass sie um die Bedeutung der Runen wusste, war ihr und Gunnoras Geheimnis. Und ganz für sich allein behalten hatte sie die Entscheidung, dass sie deren Erbe bewahren wollte und mehr noch: dass sie sich wie Gunnora, die seit der Taufe auch den christlichen Namen Albereda trug, einen zweiten Namen gegeben hatte. Noch kannte ihn keiner, aber irgendwann, irgendwie und vor wem auch immer würde sie ihn nennen … und stolz darauf sein.
    »Wo bleibst du denn?« Emma klang ungeduldig.
    Rasch versteckte sie das Pergament in der Lade unter dem Pult, setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf und verließ hastig die Schreibstube.
    Die Christen nennen mich Agnes, lautete der letzte Satz, den sie für heute aufgeschrieben hatte, aber für die Heiden bin ich künftig … Asrun.

H ISTORISCHE A NMERKUNG
    Über historische Persönlichkeiten zu schreiben schränkt einen Autor zunächst ein – schließlich gilt es, die fiktive Handlung mit einer tatsächlichen Biografie zu verweben, folglich mit einem festen Gerüst an Daten. Über Persönlichkeiten aus dem Frühmittelalter zu schreiben fordert die Kreativität zugleich heraus, denn die meisten Daten sind vage oder umstritten – oft weiß man nicht, wann genau einzelne Personen geboren wurden und gestorben sind beziehungsweise wann sich bestimmte Ereignisse zugetragen haben. Überdies haben viele Lebensberichte eher den Status einer Legende, was bedeutet, dass auch das vermeintlich historisch Belegte womöglich nur Auslegung eines fantasiebegabten Zeitgenossen ist.
    Unmöglich ist es also, die reinen Fakten und deren kreative Auslegung akkurat voneinander abzugrenzen – an dieser Stelle will ich lediglich in groben Zügen angeben, worüber in diversen Quellen mehr oder weniger ausführlich berichtet wurde und was folglich das Grundgerüst bildete, auf das ich meine Geschichte aufbaute. Was die genaue Datierung von Ereignissen anbelangt, habe ich mich, sofern diese nicht geklärt oder von der Forschung umstritten ist, immer für den Zeitpunkt entschieden, der der Dramaturgie meiner Geschichte am förderlichsten schien.
    Gunnora, die ursprünglich wohl Gunnovr hieß, oft schlicht als Gunnor bezeichnet wird und die nach der Taufe den Namen Albereda trug, wird von zwei Chronisten ausführlich erwähnt: Laut Dudo von Saint-Quentin war sie die Nachfahrin nobler Dänen, laut Robert von Torignis die Tochter eines Försters. Die Historikerin Eleanor Searles leitet daraus die These ab, dass Gunnora aus einer jener skandinavischen Familien stammte, die sich erst zur Zeit Richards I. in der östlichen Normandie niedergelassen hatten. Die Ehe markierte ein Bündnis zwischen den mittlerweile eingesessenen Normannen und den Neuankömmlingen, deren Integration Gunnora offenbar nach Kräften förderte.
    Auch wenn über Gunnoras Eltern kaum etwas bekannt ist – belegt sind die Namen ihrer drei Schwestern sowie deren Ehemänner und Nachfahren, die ich in meinem Buch entsprechend genannt habe. In einer der zahlreichen mittelalterlichen Genealogien ist überdies ein Bruder erwähnt, der den Namen Arfast trug und einen Sohn namens Osbern hatte. Da von diesem Arfast ansonsten nie die Rede ist, habe ich mich entschieden, ihn nicht zu Gunnoras Bruder, sondern zum Mann einer Frau – der fiktiven Alruna – zu machen, deren Familie eng
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