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Meine Seele weiß von dir

Meine Seele weiß von dir

Titel: Meine Seele weiß von dir
Autoren: Sabine Ludwigs
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ich die Arme nach ihm aus und ziehe ihn an mich. Für einen Augenblick bleibt er so – dann zieht er sich ruckartig, beinahe grob zurück.
    „Sie ist am Freitag gestorben.“
    Er sitzt auf meiner Couch. Mechanisch streichelt er den schnurrenden Sika, der auf seinen Schoß gesprungen ist und mit pumpenden Pfötchen seine kleinen, spitzen Krallen in Leanders Oberschenkel treibt.
    „Der Krebs hatte gestreut. Die Lymphknoten waren befallen, und sie wusste wohl schon länger, dass es vorbei ist. Werner sagt, sie wollte nicht, dass wir es erfahren . Aber deshalb hatte sie ihre zweite Familie noch einmal um ihren Tisch versammelt, um unbefangen Abschied nehmen zu können.“
    Ich denke an das Gartenfest zurück. An Werner, der still und zurückhaltend wirkte. Und später, als Isi und ich allein in der Küche waren und zusammen die Spülmaschine einräumten. Sie sagte zu mir: „Glaube mir, es gibt Schlimmeres, als zu vergessen.“
    Damals nahm ich an, sie versuchte mich zu trösten - oder sie wollte mich vor dem warnen, was meine Erinnerungen preisgeben würden. Auf meine Frage, was denn schlimmer sein könnte, antwortete sie: „Die Gewissheit.“
    Jetzt bekommt ihre Äußerung einen ganz anderen Sinngehalt. „Es tut mir leid, Leander. Unendlich leid.“
    Gerne hätte ich ihn noch einmal berührt, doch ich schaffe es einfach nicht, meine Hand nach ihm auszustrecken.
    Er bemerkt nichts von meinem Zwiespalt, nickt nur und zupft so lange selbstvergessen an Sikas Schnurrhaaren, bis dieser an Leanders Fingern zu knabbern beginnt.
    „Wann ist die Beerdigung?“
    „ Das steht noch nicht fest. Isi hat sich eine Feuerbestattung gewünscht, deshalb wird noch einige Zeit bis zur Urnenbeisetzung vergehen“, antwortet er. „Aber am Mittwoch findet eine Trauerfeier in der Friedhofskapelle statt. Um elf Uhr auf dem Paulusfriedhof. Isi hat keine Todesanzeige gewollt und ich dachte, du möchtest vielleicht gerne hingehen.“
    „Ja“, bestätige ich. „Das möchte ich wirklich .“
    „Gut. Wir sehen uns dort.“ Er steht auf und fragt, wie der Kater heißt. Ich sage es ihm. Leander bringt tatsächlich ein Lächeln zustande.
    Auf dem Korridor bleibt sein Blick an der Pinnwand hängen. Seine tiefgrünen Augen scheinen sich an der Gästeliste festzusaugen.
    Ich spüre, wie mir das Blut heiß in den Kopf schießt, als er zuerst den dicken Balken fixiert und dann Zeile für Zeile, die Namen liest.
    Langsam wendet er sich zu mir um und schaut mich mit einem rätselhaften Blick an. Er verzieht seinen Mund, als wollte er etwas sagen, aber dann öffnet er doch nur schweigend die Tür und geht.
     
    Als ich zwanzig Minuten vor Beginn der Trauerfreier in der Kapelle ankomme, sind bereits etliche Trauergäste da. Ich bin nicht erstaunt, wie viele Menschen von Isi Abschied nehmen wollen.
    Werner sitzt mit seiner Tochter Britta, deren Mann und den drei Enkelsöhnen in der ersten Reihe. Die alte Dame daneben ist vermutlich Isis Mutter .
    Auf der Bank hinter ihnen erkenne ich Rick und Moni , die ihre Tochter nicht mitgebracht haben und sich an den Händen halten. Und da, an Monika s Seite , sitzt Leander. Daneben haben Leanders Eltern - meine Schwiegereltern – Platz genommen, die mich während meiner ganzen Rekonvaleszenz nicht einmal besucht haben. Stets war irgendetwas anderes dringlicher gewesen. Natürlich. So war es schon immer.
    Ich gehe so weit nach vorn wie möglich, wo ich mich abseits in den Schatten einer Säule stelle.
    Isis heller Eichensarg ist schlicht und unter den üppigen Kränzen und Gebinden kaum zu erkennen. Überall brennen Kerzen und jetzt kommt - in der Totenstille - gemessenen Schrittes der Pfarrer herein.
    „Das Leben von Isolde war zu kurz – aber wunderschön“, sagt er mit wohlklingender Stimme. Er spricht nicht lang, doch sehr gefühlvoll und so persönlich, als hätte er Isi gut gekannt. Als er endet, erklingt das Lied Knocking on Heaven‘s Door . Doch am bewegendsten ist der Moment, als Werner nach vorne geht und unter Tränen ein Gedicht verliest:
     
    „Die Blätter fallen , fallen wie von weit ,
    als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
    sie fallen mit verneinender Gebärde.“
     
    Es ist das Herbstgedicht von meinem Lieblingsdichter, Rainer Maria Rilke. Ich hatte keine Ahnung, dass offenbar auch Isi , wie Werner einleitend sagte , ihn mochte . Brennend spüre ich mein Bedauern darüber, dass mir dieser Umstand erst jetzt bewusst wird. Im Angesicht des Todes erkennt man manches Versäumnis.
    Noch
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