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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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Martin Walser, 1927 in Wasserburg (Bodensee) geboren, lebt heute in Nußdorf (Bodensee). 1957 erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, 1962 den Gerhart-Hauptmann-Preis und 1965 den Schiller-Gedächtnis -Förderpreis. 1981 wurde Martin Walser mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
    Ein fliehendes Pferd ist die Geschichte einer Viereckskonstellation. Der Zufall führt zwei Ehepaare an einem Ferienort am Bodensee zusammen. Die Männer, Endvierziger, waren Schul- und Studienfreunde. Helmut Halm, der behäbige Lehrer, erwartet nichts mehr vom Leben. Klaus Buch hingegen jagt von einer Tätigkeit zur nächsten, bestimmt auch bald das Programm gemeinsam zu verbringender Ferientage. Voll Unlust beginnt Helmut, die gemeinsamen Erinnerungen anzuerkennen, und nur einmal bewundert er Klaus Buch ohne Vorbehalt: ein Pferd rast ihnen entgegen, der Bauer kann es nicht halten. Doch als es am Wiesenrand stehenbleibt, nähert Buch sich ihm,
    springt auf, noch ehe das Pferd davongaloppieren kann. Aber die Kluft zwischen den Jugendfreunden beginnt wieder zu wachsen. Bis beide, eines Nachmittags, im Segelboot sitzen. Ein Unwetter kommt auf. Es wird ein Kampf zwischen dem das Leben auf jede Weise ausbeutenden Klaus Buch und dem dieses Leben seiner Flüchtigkeit wegen fliehenden Helmut Halm. »Martin Walsers Novelle Ein fliehendes Pferd halte ich für sein reifstes, sein schönstes Buch. Diese Geschichte zweier Ehepaare ist ein Glanzstück deutscher Prosa unserer Jahre.« Marcel Reich-Ranicki, FAZ

    Martin Walser
    Ein fliehendes Pferd  
    Novelle

    Suhrkamp

    Für Franziska

    Umschlagmotiv: Aquarell von Alissa Walser
suhrkamp taschenbuch 600
Erste Auflage 1980 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1978
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
non-profit ebookz, 2002
    zum 75. Geburtstag von Martin Walser am 24.03.200 2
Druck: Ebner Ulm – Printed in Germany
Umschlag nach Entwürfen von
Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
14 15 16 17 - 92 91 90

    »Man trifft zuweilen auf Novellen, in denen bestimmte Personen entgegengesetzte Lebensanschauungen vortragen. Das endet dann gerne damit, daß der eine den andern überzeugt. Anstatt daß also die Anschauung für sich sprechen muß, wird der Leser mit dem historischen Ergebnis bereichert, daß der andre überzeugt worden ist. Ich sehe es für ein Glück an, daß in solcher Hinsicht diese Papiere eine Aufklärung nicht gewähren.« Sören Kierkegaard, Entweder/Oder

    1.

    Plötzlich drängte Sabine aus dem Strom der Promenierenden hinaus und ging auf ein Tischchen zu, an dem noch niemand saß. Helmut hatte das Gefühl, die Stühle dieses Cafés seien für ihn zu klein, aber Sabine saß schon. Er hätte auch nie einen Platz in der ersten Reihe genommen. So dicht an den in beiden Richtungen Vorbeiströmenden sah man doch nichts. Er hätte sich möglichst nah an die Hauswand gesetzt. Otto saß auch schon. Zu Sabines Füßen. Er sah aber noch zu Helmut herauf, als wolle er sagen, er betrachte sein Sitzen, so lange Helmut sich noch nicht gesetzt habe, als vorläufig. Sabine bestellte schon den Kaffee, legte ein Bein über das andere und schaute dem trägen Durcheinander auf der Uferpromenade mit einem Ausdruck des Vergnügens zu, der ausschließlich für Helmut bestimmt war. Er verlegte seinen Blick auch wieder auf die Leute, die zu dicht an ihm vorbeipromenierten. Man sah wenig. Von dem wenigen aber zuviel. Er verspürte eine Art hoffnungslosen Hungers nach diesen hell- und leichtbekleideten Braungebrannten. Die sahen hier schöner aus als daheim in Stuttgart. Von sich selbst hatte er dieses Gefühl nicht. Er kam sich in hellen Hosen komisch vor. Wenn er keine Jacke anhatte, sah man von ihm wahrscheinlich nichts als seinen Bauch. Nach acht Tagen würde ihm das egal sein. Am dritten Tag noch nicht. So wenig wie die gräßlich gerötete Haut. Nach acht Tagen würden Sabine und er auch braun sein. Bei Sabine hatte die Sonne bis jetzt noch nichts bewirkt als eine Aufdünsung jedes Fältchens, jeder nicht ganz makellosen Hautstelle. Sabine sah grotesk aus. Besonders jetzt, wenn sie voller Vergnügen auf die Promenierenden blickte. Er legte eine Hand auf ihren Unterarm. Warum mußten sie überhaupt dieses hin- und herdrängende Dickicht aus Armen und Beinen und Brüsten anschauen? In der Ferienwohnung wäre es auch nicht mehr so heiß wie auf dieser steinigen, baumlosen Promenade. Und jede zweite Erscheinung hier führte ein Ausmaß an Abenteuer an einem vorbei, daß das Zuschauen zu einem rasch anwachsenden Unglück wurde.
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