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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Autoren: Antoinette Lühmann
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Der Wind trug den Gestank der weiten Welt über die Dächer von Amsterdam.
    Vorsichtig trat Nik auf die Dachschindeln und schwang sein Bein über den First. Er lehnte sich gegen den Schornstein und sah auf seine Stadt hinunter. Hinter den Häusern am Ende der Straße begann der Hafen von Amsterdam.
    Die Luft roch nach Fisch und dem modernden Schlick aus den Grachten. Das Haus unter ihm war wie die Häuser der anderen Händler bis obenhin mit Kisten, Säcken und Körben vollgestopft, in denen kostbare exotische Gewürze und Kräuter lagerten. Nik bildete sich ein, zwischen dem malzigen Geruch des Hafens auch die Aromen von Vanille, Pfeffer und Anis zu erkennen. Tief sog er den Geruch in sich ein und beobachtete dann das Treiben im Hafen, das aus der Ferne einem bunten Ameisenhaufen glich. Den ganzen Tag hatte er sich auf den Anblick der Segelschiffe gefreut, die nebeneinander an den Stegen lagen. Wochen und Monate waren sie auf dem Meer unterwegs gewesen und hatten ferne Länder gesehen und fremde Sprachen gehört. Nun ruhten sie am Rande der Stadt und spuckten ihre Fracht auf die kleinen offenen Boote, die sich wie Ameisen durch die Grachten schlängelten, um die Stoffballen, Säcke und Fässer in die Lagerhäuser der Kaufleute zu bringen.

    Aus dem Schornstein vom Haus an der Ecke stiegen dicke Wolken in den Himmel und hüllten Nik in schwarzen Nebel.
    Die Luft roch nach Schwefel und Holz und brannte in Niks Lungen. Er verfluchte den Schmied am Ende der Straße und die Feuerstelle in seiner Werkstatt. Es war nur noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang und der verdammte Qualm brachte ihn um die lange ersehnte Aussicht auf den Hafen.
    »Nicolaas, komm runter, die Boote sind auf dem Weg.«
    Die Stimme seiner Mutter erklang tief unter ihm von der Straße vor dem Haus. Sie konnte ihren Sohn nicht sehen, doch sie wusste, wohin er floh, wenn er die Waren in die Bücher eingetragen hatte und sie mit den Kaufmännern der Stadt verhandelte und zu beschäftigt war, um ihm weitere Aufgaben zu übertragen.
    Nik knotete ein Seil an den Haken neben dem Schornstein und hangelte sich zu dem Balken mit der Winde hinunter, die bei allen Häusern an den Grachten über dem obersten Fenster in die Mauersteine eingelassen war. Als der Wind ein Loch in die dreckigen Wolken riss, erhaschte er noch einen letzten Blick auf den Fluss.
    Unter englischer Flagge lief ein Schiff in den Hafen ein. Es war eine von den alten Handelskaracken, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut wurden – und die neben den ankernden Galeonen wie ein Spielzeugschiff aussah.
    Seufzend verabschiedete Nik sich von dem Geschmack nach Salz auf den Lippen und dem Wind im Gesicht und kletterte widerwillig am Seil zurück auf die Straße.
    Auf der englischen Karacke Sparrow herrschte derweil große Geschäftigkeit, und niemand bemerkte den Jungen, der in der Ferne auf dem Dach saß und sich nach dem Meer sehnte.
    Raschelnd wurden die Segel eingeholt und mit einem dumpfen Pochen fielen die Taue auf die hölzernen Stege im Hafen von Amsterdam.
    Acht Menschen beteiligten sich nicht an den routinierten Handgriffen. In der Messe, wo die Mannschaft sonst nur zu den Mahlzeiten zusammenkam, hockten sie dicht beieinander um einen fleckigen Tisch und trugen trotz des warmen Spätsommertages dunkle Mäntel mit weiten Kapuzen. Sie hatten während der Überfahrt von London kaum ihre Plätze verlassen, denn das Schiff war schon vor ihrer Ankunft voll mit Handelswaren, Besatzung und Vorräten beladen gewesen. Ein Ruck ging durch das Schiff und die Fahrt war zu Ende.
    Ein Mann mit einem großen grauen Hut kam an Bord und öffnete die Tür zur Messe. Wegen seiner Geschäfte mit den Ankömmlingen im Hafen wurde er von seinen Freunden »Der Hai« genannt. Mittlerweile hatte er Gefallen daran gefunden und seinen alten Namen abgelegt. Doch niemanden kümmerte das. Fremden stellte er sich nicht vor, denn er traf sie nur einmal im Leben, um sie in die Stadt einzuschleusen, und dann niemals wieder. Fast zärtlich strich er mit den Fingern über den Hai, den er sich selbst auf den rechten Unterarm tätowiert hatte, und räusperte sich laut.
    »Mijnheer Sehfeld en Mijnheer Schmieder?«, fragte er auf Niederländisch.
    Einer der Männer am Tisch zuckte zusammen, die anderen hoben die Köpfe.
    »Ich bin Heinrich Sehfeld«, sagte der Mann, der an der Tür saß, und zog einen freien Stuhl an die Stirnseite des Tisches. Der Hai nahm seinen Hut ab und setzte sich.
    Sehfeld schob die Kapuze vom Kopf
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