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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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nehme keine.«
    »Da sind Sie konsequent?«
    »Ja, muss man ja«, sagte er.
    Sie nickte anerkennend und schrieb wieder etwas in ihren Block.
    »Und sonst … In der Arbeit läuft es gut«, sagte er, obwohl sie nicht danach gefragt hatte und es nicht der Wahrheit entsprach. Er war in den letzten Wochen mehrmals zu spät gekommen, genauer gesagt, war er nicht zu der Uhrzeit zuhause gewesen, als der Fahrer ihn abholen sollte. Und erst vor wenigen Tagen hatte es eine Unterredung mit einem der Produzenten gegeben, die ernst zu nennen eine Beschönigung wäre. Am Ende war ihm bei einer erneuten Verspätung eine Entlassung in Aussicht gestellt worden. Es sei kein Problem, seine Rolle aus der Serie zu schreiben, hatte der Produzent so beiläufig gesagt, dass Felix annahm, dass darüber schon mit den Autoren gesprochen worden war. Frau Weber sah von ihrem Block auf. Felix hatte nie herausgefunden, ob sie ihn aus dem Fernsehen kannte. Er vermutete es, bestimmt hatte sie ihn schon mal gesehen, die Serie lief fünf Tage die Woche im Vorabendprogramm, aber sie hatte sich nie etwas anmerken lassen. Er zuckte mit den Schultern. »Das ist eigentlich alles.«
    Ihr zu Füßen stand auf dem Fußboden ein Wecker. Felix konnte nie sehen, wie viel Uhr es gerade war, weil das Zifferblatt von ihm abgewandt war. Aber bestimmt waren es noch gute vierzig Minuten, bis die Stunde um wäre. Wenn es ganz leise war, so wie jetzt, konnte man die Uhr ticken hören.
    »Ja, manchmal liege ich nachts wach und dann kommen die Gedanken«, sagte Felix, als er die Pause nicht mehr aushielt.
    »Was sind das für Gedanken?«, sagte Frau Weber.
    »Sorgen«, sagte Felix.
    »Versuchen Sie, nicht gleich zu werten«, sagte Frau Weber, »beschreiben Sie einfach. Was denken Sie, wenn Sie nicht schlafen können?«
    »Ich denke dann, dass ich das alles nicht schaffe«, sagte Felix. »Dass auf meiner Stirn ›Versager‹ steht und dass eines Tages alles auffliegen wird …« Er spürte, wie es in seinem Hals enger wurde.
    »Was, meinen Sie, schaffen Sie nicht?«
    Frau Webers Stimme klang so beruhigend.
    »Ich weiß auch nicht, was genau – eben alles. Es ist eher so ein diffuses Gefühl. Dass ich immer nur so tue, als würde ich alles hinkriegen. Aber in Wahrheit …«
    Sein Hals schien wirklich enger zu werden.
    »In Wahrheit …«
    Er brach ab.
    »In Wahrheit …?«, half Frau Weber.
    »In Wahrheit bin ich doch noch ganz klein.«
    Er hatte das gar nicht sagen wollen. Wie peinlich. Da saß er, ein beinahe dreißigjähriger Mann auf dem Sessel bei seiner Therapeutin, und im Raum hing dieser lächerliche Satz.
    »Sie fühlen sich wie ein kleiner Junge?«, sagte Frau Weber, ihr Gesicht drückte Mitgefühl aus.
    »Ja«, sagte er leise.
    »Das dürfen Sie auch«, sagte Frau Weber.
    Komisch. Jetzt, wo er es erwartet hätte, schossen ihm keine Tränen in die Augen. Er schloss sie für einen Moment.
    »Wo sind Sie jetzt?«, hörte er die Stimme von Frau Weber.
    Er wollte antworten, aber er wollte auch nicht antworten. Da war es wieder: dieses Gefühl, sich am liebsten irgendwo hinlegen zu wollen und nie mehr aufzustehen. Er hatte es in letzter Zeit immer öfter. Musste er sich denn wirklich selbst hier zusammenreißen, hier in der Therapie, wo niemand es von ihm erwartete?
    Nein, beschloss er. Das musste er nicht.
    Frau Weber schwieg, und er tat es auch. Er saß mit geschlossenen Augen einfach so da. Die Uhr tickte. Draußen weinte ein Baby. Dann verstummte es.
    Als er die Augen wieder öffnete, lag er auf dem blauen Teppich, mit dem die Praxis ausgelegt war, jemand hatte ihm die Beine hochgelegt, ihm ein zusammengerolltes Handtuch unter den Hals geschoben – und Frau Weber war gerade dabei, ein Tuch in eine Schale mit Eiswasser zu tunken.
    »Hoppla«, sagte Felix.
    »Sie waren ohnmächtig«, sagte Frau Weber und schien erleichtert.
    »So was«, sagte Felix, der sich auf einmal hellwach fühlte, und richtete sich auf.
    »Langsam«, sagte Frau Weber und stützte ihn an der Schulter, was Felix extrem unangenehm war.
    »Geht schon«, sagte er. »Wie lange war ich denn weg?«
    »Nicht lange«, sagte Frau Weber, »ein paar Minuten vielleicht.«
    Felix war nun doch ein bisschen schwummrig zumute. Ein Gefühl, als würden Luftblasen hinter seinen Augen tanzen.
    »Haben Sie heute schon etwas gegessen?«, sagte Frau Weber.
    Hatte er nicht. Hatte er vergessen. Und es war schon nach vier.
    »Ja«, sagte er. »Aber ist schon länger her. Ist wahrscheinlich der Schreck wegen dem
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