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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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Brustkrebs. Ich habe kaum geschlafen. Und ich glaube, ich werde krank …«
    »Trinken Sie«, sagte Frau Weber und hielt ihm das Glas Wasser hin. »Wir machen besser nächstes Mal etwas länger – wenn Sie möchten, können Sie sich gerne im Vorraum noch hinlegen.«
    »Nein danke, das geht schon. Ist alles okay«, sagte Felix und stand auf. Frau Weber stand ebenfalls auf. Sie schüttelten sich die Hand. Blöde Situation. Er kam sich so hilflos und ungeschickt vor. Schnell weg hier und irgendwas essen.
    »Also, bis nächste Wochvieächstee«, sagte Frau Weber.
    »Selbe Zeit?«, sagte Felix.
    »Selbe Zeit«, sagte Frau Weber. »Und passen Sie auf sich auf.«
    Ja, dachte er, das wollte er tun. Auf sich aufpassen. Tat ja sonst keiner. Er war erleichtert, gehen zu können, ihm war das alles entsetzlich unangenehm. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er das Zimmer, durchquerte den Warteraum, schnappte sich an der Garderobe seine Jacke und zog sie an, während er die mit Sisalteppich belegte Treppe hinunterlief, den Hausflur entlang, durch die Holztür ins Freie.
    Am frühen Abend lag Felix angezogen auf seinem Bett in der WG, in der er seit bald einem Jahr lebte. Er hatte einen Schokoriegel gegessen, obwohl er keinen Appetit gehabt hatte, hatte ihn heruntergewürgt, um nicht noch einmal umzufallen. Dann hatte er mit seinem Vater telefoniert, der ziemlich mitgenommen schien. Er hatte ihn einfach reden lassen und manchmal ein zustimmendes Geräusch gemacht. Während des Telefonats war Felix in seinem Zimmer auf und ab gegangen, Schritt vor Schritt, immer akkurat die Kanten des Parketts entlang. Es war eigentlich ein schöner Raum. Hohe Wände mit Stuck, Fischgrätparkett, große Fenster, der Blick ging auf Bäume. Aber Felix hatte ihn verkommen lassen. Links an der Wand lag seine Matratze, zu der er auch einmal ein Gestell besessen hatte, das sich heute in irgendeinem Keller befand, er hatte vergessen, in welchem. Gegenüber stand ein weißer Ikea-Schrank, den er noch aus seiner Jugendzeit hatte, daneben sein Schreibtisch, eher eine Sperrholzplatte, die auf zwei Böcken lag. Ein drehbarer Bürostuhl, ein Geschenk seiner Mutter zu seinem Auszug damals, das war ein paar Wochen vor ihrem Tod gewesen, weshalb er den Stuhl wahrscheinlich sein ganzes Leben lang behalten würde, obwohl es sich unbequem darauf saß. Die Tür des Kleiderschranks ließ sich nicht mehr schließen, ein Scharnier war herausgebrochen, seither hing sie schräg im Rahmen. Aber den Schrank benutzte er ohnehin kaum. Die meisten Kleider lagen auf dem Fußboden, häuften sich zu Stoffbergen, in denen gedeckte Farben wie Blau und Braun dominierten. Saubere von bereits getragenen Sachen zu unterscheiden war nicht immer leicht – meistens orientierte sich Felix dabei an den gelben Zettelchen, die von der Wäscherei mit Nadeln an die Etiketten geheftet worden waren: »Flecken«, stand darauf.
    Felix war nie besonders ordentlich gewesen. Es störte ihn nicht, um die Haufen herumgehen zu müssen, die sich auf seinem Fußboden bildeten. Er bemerkte sie kaum. Es hatte sogar eine beruhigende Wirkung auf ihn, alles, was er besaß, vor sich ausgebreitet zu sehen. Er mochte das Gefühl, jederzeit sofort weg zu können, ein Koffer nur, und nichts würde er vermissen. Nicht dass er wirklich vorhatte, sich auf und davon zu machen. Er fühlte sich sogar sehr wohl mit seiner aktuellen Wohnsituation. Er war Gast in der Welt eines anderen, benutzte dessen Bad, dessen Küche, dessen Klo. Zahlte einen monatlichen Betrag, um sich unabhängig zu fühlen. War nicht alleine. Hatte keine Verantwortung. Und konnte jederzeit fort. Theoretisch. Er war frei.
    Am Telefon hatte sein Vater erzählt, dass es Ildikó – so hieß seine neue Frau – nicht gut ging. Felix kannte sich nicht aus mit Krebs, bei seiner Mutter hatte man die Krankheit erst so spät entdeckt, dass sie gestorben war, bevor Felix sich mit Details hätte vertraut machen können. Aber Sätze, in denen bösartige Metastasen vorkamen, klangen natürlich beunruhigend. Schon morgen würde ihr eine Brust amputiert werden. Eigentlich wollte Felix so etwas nicht hören. Er hatte das Gefühl, seinen Vater nicht trösten zu können, außerdem wollte er sich Ildikós Brüste nicht vorstellen undenurstelle tat das nun, unweigerlich, und ihm wurde ein wenig schlecht dabei. Als sein Vater das Gespräch beendete, war Felix erleichtert. Draußen wurde es gerade dunkel, es war diese Viertelstunde, in der alles in blaues Licht
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