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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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berühmten Schriftsteller, hatte sie sie während der Book Fair in London wiederbelebt? Wie ging es ihrem Mann, litt er noch an Depressionen? All das fragte ich nicht in dieser Offenheit, das wäre mir zu forsch vorgekommen, ich erkundigte mich vorsichtig, mich mit einzelnen Worten über längere Pausen hangelnd. Sie antwortete widerstrebend. Als hätte sie das alles nie erzählt. Als sei es unangemessen von mir, mich an all das zu erinnern. Als wolle sie sich nicht erinnern. Als sei ich lästig. Unser Treffen ein lästiger Termin, etwas, das zu absolvieren war, bevor sie endlich schlafen durfte. Denn sie schien müde. Müde, fahrig. Nicht wirklich da. Als wäre sie eigentlich schon wieder weg. Nur die Idee von ihr, diese atemlose Idee saß hier vor mir auf der Bank. Nein, sie wolle nichts essen, aber ich solle doch, ja, doch, unbedingt. Sie freue sich so mich zu sehen. Wie schade, dass sie morgen schon wieder nach Hamburg fahre. Wie schade, dass man sich so gar nicht gesehen habe.
    Wir sehen uns doch jetzt, Eva.
    Das Essen – ich hatte ein kleines Wiener Schnitzel bestellt, das im Borchardt mit Zitronenscheibe und Sardelle dekoriert auf lauwarmem Kartoffelsalat serviert wurde – war schnell gegessen, die Gläser schnell leer. Eva hatte noch während der ersten Viertelstunde zu gähnen begonnen, herzzereißende Gähnanfälle, ungeniert ausgeführt, ausgedehnt ausgegähnt, es war eine zunehmend unmögliche Situation. Ich fühlte mich, als hielte ich sie vom Wertvollsten ab, das ihr zu tun war: schlafen. Eva, wenn du müde bist, dann geh doch unbedingt nach Hause, sagte ich, doch sie schüttelte den Kopf. Neinnein, niemals, nun säßen wir doch hier. Wie zum Trotz winkte sie dem Kellner zu, er möge uns noch mal die gleichen Getränke bringen. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie anders geschminkt war als sonst. Mutiger. Ihr Lippenstift hatte die Farbe eines Korallenriffs, die Augen hatte sie mit schwarzem Kajal ummalt. Sie sah dadurch nicht unbedingt hübscher aus und vielleicht sogar eine Spur älter, aber es hatte etwas entschlossen Weibliches, das ihr stand.
    Wir hatten uns auf dem Fest eines gemeinsamen Bekannten kennengelernt, das wir beide in der Küche zubrachten. Uns war an diesem Abend wohl beiden nicht nach Gesellschaft gewesen – ich war mit meinem Mann gekommen, der sich warn, der den ganzen Abend glänzend auf dem Balkon unterhielt, Eva war alleine da. Und nachdem sie mich dabei ertappt hatte, wie ich, als wieder einmal eine besonders laute Wolke aus Partygelächter über den Flur wehte, kurz die Augen in Richtung Decke verdrehte, waren wir Komplizinnen und beschlossen, das Beste daraus zu machen. Ich ging mit dem Gefühl, zu viel geredet zu haben, aber ich wusste nicht mehr genau, was. Ihr schien es ebenso zu gehen, denn zwei Tage später schickte sie mir eine Mail, in der sie sich über die Maßen entschuldigte. Der Rotwein, und so weiter. Und dann verabredeten wir uns und erzählten uns vermutlich noch einmal dieselben Sachen und beim nächsten Mal wieder, weil wir uns nie merken konnten, was wir schon gehört, was erzählt hatten. Der Rotwein, und so weiter.
    An jenem Abend, an dem Eva sich Kajal um die Augen gemalt hatte, waren außer uns im Bereich in der Mitte des Borchardts, diesem Bereich, der durch die roten Samtrückenlehnen der Sitze abgezirkelt war: ein Filmregisseur, der in früheren Nächten betrunken mit Gläsern geworfen hatte, um seinen eitel-berauschten Monologen Nachdruck zu verleihen, in Begleitung einer jungen Frau; ein berühmter Modemacher, den außerhalb Berlins niemand kannte, und seine zu blonde und laute Entourage; ein reicher Maler und sein noch reicherer Galerist; ein paar Geschäftsmänner in zu schwarzen Anzügen, die ständig zu ihrem Nachbartisch sahen, an dem drei Frauen Champagner tranken, die als Models durchgegangen wären, hätten sie nicht alle drei operierte Brüste gehabt; und ein Japaner, alleine, der auch bald ging. Ich erinnere mich an diesen Abend, als wäre er ein Film, den ich oft gesehen habe. Aber die Kamera zeigt nie unseren Tisch. Wie haben wir wohl gewirkt, an diesem Abend, wir zwei Frauen am linken Ecktisch des Mittelbereichs? Die dunkelhaarige Eva mit ihren fahrigen Bewegungen, dem grellen Lippenstift und dem gewagten Ausschnitt, der ihr selber im Laufe des Abends immer unangenehmer zu werden schien. Am Anfang verschränkte sie oft die Arme davor, später dann hielt sie die Speisekarte in Brusthöhe vor sich, die sie womöglich eigens zu diesem Zweck
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