Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
Vom Netzwerk:
dunklen Haaren, die jetzt grau waren mit weißen Strähnen darin. Ihr Händedruck war fest. Meistens trug sie Jeans und Rollkragenpullover, selten einen Rock, und wenn, dann sah sie gleich viel älter aus. Felix hatte das Gefühl, dass sie ihn mochte. Es hatte ein bisschen gedauert – am Anfang war ihr die Drogensache wohl suspekt gewesen, aber seit er behauptete, das Zeug nicht mehr anzurühren, schien sie ganz zugewandt.
    Felix ging seit etwa zwei Monaten zu ihr. Vorher war er bei diversen anderen Therapeuten gewesen, zuletzt bei einem Herrn Dr. Majewski, aber nach ein paar Stunden hatte er dessen Stimme nicht mehr ertragen, die immer belegt war, so dass Felix bald nichts anderes mehr denken konnte als: Räuspern Sie sich doch endlich, verdammt! An den Wänden hatten abstrakte Bilder gehangen, von denen Felix vermutete, die ass sie Werke ehemaliger Patienten waren. Die meisten waren in düsteren Farbtönen gehalten, vornehmlich lila mit ein paar auflockernden Sprenkeln Anthrazit. Es war alles unendlich deprimierend gewesen, die abgelaufenen Teppiche, die eingebeulten Baststühle, das dunkle Treppenhaus, in dem es immer nach Essen roch. Irgendwann hatte er einen Termin ausfallen lassen, ohne abzusagen, und danach nie wieder einen neuen ausgemacht. Frau Weber war ihm dann von einer Maskenbildnerin empfohlen worden. Felix war selbst überrascht gewesen, dass er sie tatsächlich angerufen und einen Termin ausgemacht hatte. Seitdem ging er einmal die Woche zu ihr. Er mochte sie. Sie hatte etwas mütterlich Herbes, war einfühlsam, ohne mitleidig zu sein, und, wie gesagt, offenbar mochte sie ihn. Das vielleicht gefiel ihm am besten.
    An diesem Nachmittag trug sie schwarze Jeans, einen dunkelgrünen Rollkragenpullover und ihre kleine Lesebrille, die sie normalerweise erst gegen Schluss der Stunde aufsetzte, wenn sie sich im Kalender den nächsten Termin notierte. Ihre Praxis war hell und freundlich, das Fenster stand meist offen, sodass die Geräusche von draußen hereindrangen, ganz in der Nähe musste eine Schule sein. Manchmal war ein Pausengong zu hören und anschließend Kinderlärm.
    Felix nahm in dem rot bezogenen Sessel Platz, der ihrem Lederstuhl gegenüberstand und trank einen Schluck von dem kalten Mineralwasser, das sie ihm immer hinstellte. Dann folgte das übliche Anfangsritual. Sie sah ihn an. Er sah sie an. Keiner sagte ein Wort. Jedesmal wieder wünschte er sich, sie möge doch einmal, ein einziges Mal, auf diese Schweigeminute verzichten, würde die Stunde anmoderieren, ein einfaches »Wie geht es Ihnen?« würde genügen. Aber nein, das taten Therapeuten ja nie. Sie warteten darauf, dass der Patient begänne. Also tat er das, ergriff Felix irgendwann das Wort, einer musste es ja tun, und Pausen waren ohnehin nicht seine Stärke. »Also«, fing er meistens an, und so auch heute, »mir geht es eigentlich ganz gut.« Und Frau Weber sah ihn an, Papier und Stift im Anschlag und sagte weiter nichts.
    »Ich bin zwar manchmal traurig«, fuhr er an diesem Tag fort, und Frau Weber begann, sich etwas zu notieren, »aber im Großen und Ganzen denke ich, die Depression, oder was das war, habe ich überwunden, und ich komme eigentlich ganz gut zurecht.«
    Frau Weber nickte freundlich.
    »Dabei ist was Doofes passiert«, fuhr er fort. »Meine Stiefmutter hat Brustkrebs. Sie haben es wohl ziemlich früh entdeckt, also …« Er machte eine Pause. Dann fand er, dass alles gesagt war.
    »Und wie geht es Ihnen damit?«, fragte Frau Weber, nachdem sie so lange abgewartet hatte, dass feststand, er würde tatsächlich nichts mehr dazu sagen.
    »Hm«, sagte Felix. »Ich weiß nicht. Ist schon scheiße natürlich, aber in erster Linie natürlich für meinen Vater.«
    Frau Weber nickte.
    »Und für meine Stiefmutter«, fügte Felix hinzu.
    Frau Weber nickte wieder und notierte sich etwas. Was notierte sie sich bloß die ganze Zeit.
    »Was notieren Sie sich eigentlich immer?«, fragte Felix.
    »Das ist für meine Unterlagen«, sagte Frau Weber.
    Felix schwieg, weil er nichts Freches sagen wollte, ihm aber nichts anderes einfiel.
    »Bitte«, sagte Frau Weber.
    »Ja, das war’s eigentlich schon. Also der Brustkrebs. Sonst geht es eigentlich nicht schlecht.«
    Frau Weber sagte nichts. Es entstand eine Pause, die Felix lang vorkam. Er fing eben an, die Lamellen des Rollos zu zählen, das halb heruntergelassen war, als Frau Weber doch etwas sagte: »Wie sieht es mit den Drogen aus?«
    »Mit den Drogen? Ja, also, gut … Also, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher