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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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einzustellen. Was in Erinnerung bliebe, wäre schließlich der Preis.
    Theodor Quast hat in seiner nunmehr bald dreißigjährigen Laufbahn als Journalist noch nie einen Preis gewonnen, dabei befasst er sich nahezu ausschließlich mit Themen, die für Preise in Frage kommen. Er hat über gescheiterte bilaterale Abkommen genauso geschrieben wie über das persönliche Scheitern dieses oder jenes Politikers, hat menschelnde Stücke über die Mächtigen des Landes verfasst wie ein in seinen Augen besonders gelungenes Werk (in der Zeitung abgedruckt war nur die Hälfte des in voller Länge 55000 Zeichen umfassenden Texts) über die Kinder der ehemaligen Kanzler, deren Leben er als verpfuscht darstellte, und zwar mit kaum einer Ausnahme, dabei hatte er die besonders schmutzigen Details sogar weggelassen, wozu ihm der Jurist seiner Zeitung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes dringend geraten hatte. Theodor weiß sich als allseits geschätztes Mitglied seiner Redaktion. Stets liefert er pünktlich, sitzt oft bis spät in der Nacht im Büro, bisweilen werden nur einige wenige Wörter in seinen Artikeln redigiert, und oft erscheinen diese sogar mit der Überschrift, die er sich selbst ausgedacht hat. Er hat vor, den Preis bei sich zuhause auf das Bord über dem Kamin zu stellen. Er hat es am Vortag eigens dafür leergeräumt. Ein paar Bildbände mussten weichen, nun ist es wie für eine kleine goldene Statue gemacht.
    Auf der Bühne beschreibt gerade Viktor M. die große Ehre, die ihm zuteil sei, am heutigen Abend den Preis in der Königsdisziplin zu überreichen (das Wort Königsdisziplin versöhnt Theodor nahezu gänzlich mit seinem Laudator, obwohl er findet, in seinem Seersucker-Anzug sieht er wie ein Matrose aus). Er spricht von der Verantwortung politischer Journalisten, deren ehrenvolle und bestimmt nicht leichte Aufgabe es sei, im Sinne einer funktionierenden Gesellschaft darüber zu wachen, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten würden. Er drückt sich etwas umständlicher aus, sagt oft Äh und Irgendwie, aber vom Inhalt her kommt es hin. Die Rede gefällt Theodor. Der Journalist als vierte Gewalt, zwar kein neuer Gedanke, aber von Theodor lange nicht mehr in einem so naiven und daher kraftvollen Vortrag gehört. Im weiteren Verlauf seiner nun doch etwas ausufernden Ansprache kommt der Schriftsteller auf die Rolle der, wie er sagt, »Oldschool-Presse« im Zeitalter der neuen Medien zu sprechen, erwähnt Facebook und sogar Twitter, wo Theodor auf Lucas Anregung hin Mitglied geworden ir zd geworst, allerdings ohne nach der Anmeldung je wieder auf seine Seite gesehen zu haben, da er das Passwort vergessen hat. Etwas brüsk leitet Viktor M. dann zur Preisverleihung über. Theodor ist mit einem Mal flau im Magen. Er bittet seine Frau um ein Pfefferminzbonbon, womit diese aber nicht dienen kann, da sie gerade das letzte aus der Packung zerkaut. Auf der Bühne verliest Viktor M. jetzt die Namen der Nominierten. Dass sein Name, Theodor Quast, als Letzter genannt wird, überrascht ihn, bei seinem Nachnamen, nicht. Vor lauter Nervosität hat er allerdings versäumt, bei den anderen Namen genau hinzuhören und weiß nun immer noch nicht, wer der fünfte Kandidat ist.
    Mit großer Geste öffnet Viktor M. den Umschlag und verkündet den Namen des Siegers: Es ist ebenjener Name, der Theodor entfallen war, Michael Mencken, ein von Theodor durchaus geschätzter Kollege aus dem Wirtschaftsteil, derselbe Kollege übrigens, der die neue Serie ins Leben gerufen hat, über die er sich auf der Herfahrt noch mit Meynhardi unterhalten hat. Wie hatte er ihn nur vergessen können. Den Artikel, für den er ausgezeichnet wird, hatte er damals nur mit Mühe im Politikteil untergebracht, nachdem in seinem eigenen Ressort daran kein Interesse bestand. Am Beispiel eines pleitegegangenen Autohändlers, der heute eine Firma für die Umrüstung von herkömmlichen Heizsystemen auf Solarenergie betreibt, habe Mencken, so heißt es in der von Viktor M. verlesenen Jurybegründung, plausibel den sozioökonomischen Wandel der Gesellschaft dargestellt; es sei ihm mit seinem Text »Neue Energie« ein »ebenso originelles wie informatives Stück Journalismus« gelungen, »das überaus anschaulich die komplizierte Problematik der aktuellen Verhältnisse« beleuchte, den Rest hört Theodor nicht, weil er plötzlich von einem Hustenanfall geschüttelt wird, den womöglich der Gedanke an ein Pfefferminzbonbon in ihm ausgelöst haben mag. Er hustet immer
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