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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Jonathan Coe
     
    Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim
     
    Roman
     
    Aus dem Englischen von Walter
Ahlers
     
     
    Der Mensch ist ein Hebel, der
seine äußerste Länge und Stärke selbst für sich bestimmen muss.
    Donald
Crowhurst, zitiert nach Die sonderbare Reise des Donald
Crowhurst von Nicholas Tomalin und Ron Hall
     
    Geografie spielt keine Rolle
mehr, weil es kein Nah und Fern mehr gibt, die finanzielle Hülle, die den
Globus umschließt, hat die Geografie der Entfernungen zerstört.
    Alasdair Gray, Janine,
1982
     
    Eines Tages werde ich tot sein. Auf meinem Grabstein
wird stehen: »Hier ruht Reginald Iolanthe Perrin. Er kannte zwar die Namen von
Blumen und Bäumen nicht, dafür aber die Verkaufszahlen für Rhabarberkuchen in
Schleswig-Holstein.«
    David Nobbs, Mr.
Perrin flippt aus
     
    Mit Worten schenkt sie uns ihre bestürzenden
Offenbarungen. Mit Worten schließt sie uns ein in ihre ungeheuerliche
Einsamkeit.
    James
Wood über Toni Morrison im Guardian, 18. April 1992
     
     
    VERTRETER
NACKT IN AUTO AUFGEFUNDEN
     
    Ein
Streifenwagen der Grampian Police stieß am Donnerstagabend bei einer
Patrouillenfahrt auf der schneebedeckten A93 zwischen Braemar und Spittal of
Glenshee auf ein scheinbar verlassenes Auto, das gleich unterhalb des Glenshee
Ski Centre am Straßenrand geparkt war. Bei näherer Überprüfung stellten die
Beamten fest, dass der bewusstlose Fahrer noch im Auto saß. Die Kleider des
fast nackten Mannes mittleren Alters waren überall im Wageninneren verstreut.
Auf dem Beifahrersitz lagen zwei leere Whiskyflaschen.
    Noch rätselhafter wurde es, als die
Beamten den Kofferraum untersuchten und zwei Pappkartons mit über 400
Zahnbürsten sowie einen großen schwarzen Müllbeutel entdeckten, der mit
Postkarten aus dem Fernen Osten gefüllt war.
    Der Mann litt
unter starker Unterkühlung und wurde mit dem Rettungshubschrauber in die Royal
Infirmary nach Aberdeen geflogen. Später konnte er als Mr Maxwell Sim, 48, aus
Watford, England, identifiziert werden. Mr Sim war als freiberuflicher
Handelsvertreter für Guest Zahnbürsten in Reading unterwegs, eine Firma, die
sich auf ökologische Mundhygiene-Produkte spezialisiert hat. Der Betrieb war am
selben Morgen in Insolvenz gegangen. Mr Sims Gesundheit konnte vollständig
wiederhergestellt werden, inzwischen dürfte er an seinen Wohnort Watford
zurückgekehrt sein. Ob eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer ergeht, ist
noch offen.
     
    Aberdeenshire Press & Jounal,
Montag, 9. März 2009
     
    Von SYDNEY bis WATFORD
     
    Als ich die Chinesin und ihre
Tochter beim Kartenspielen sah, an diesem Tisch im Restaurant, hinter dem das
Wasser und die Lichter des Hafens von Sydney glitzerten, musste ich an Stuart
denken, und daran, warum er das Autofahren aufgegeben hatte.
    An »meinen Freund Stuart«,
hätte ich fast gesagt, aber ich vermute, das entspricht nicht mehr den
Tatsachen. Ich scheine in den letzten Jahren eine Reihe von Freunden verloren
zu haben. Was nicht heißt, dass ich mich auf dramatische Weise mit ihnen
zerstritten hätte. Wir haben einfach beschlossen, den Kontakt einschlafen zu
lassen. Und es muss ein Entschluss gewesen sein, eine bewusste Entscheidung,
denn schließlich ist es heutzutage bei der Vielfalt der sich bietenden
Möglichkeiten kein Problem mehr, in Kontakt zu bleiben. Aber je älter man wird,
desto zweckloser beginnen manche Freundschaften sich anzufühlen. Bis man sich
irgendwann fragt: »Wozu eigentlich noch?« Und dann lässt man es bleiben.
    Aber zurück zu Stuart und
seiner Autofahrerei. Es waren die Panikattacken, die ihn zum Aufhören zwangen.
Er war ein guter Autofahrer, achtsam und umsichtig, nie in einen Unfall
verwickelt. Aber ab und zu bekam er eben am Steuer diese Panikattacken, und mit
der Zeit wurden sie heftiger, und sie häuften sich. Ich weiß noch, wann er mir
zum ersten Mal davon erzählte: während der Mittagspause, in der Kantine des
Kaufhauses in Ealing, in dem wir beide seit ein oder zwei Jahren arbeiteten.
Ich glaube nicht, dass ich ihm sehr aufmerksam zugehört habe, denn Caroline
saß mit uns am Tisch, und zwischen uns begann es gerade interessant zu werden -
da waren Geschichten über Stuarts Autofahrneurose so ziemlich das Letzte, was
mich interessierte. Aus demselben Grund habe ich wahrscheinlich auch danach
kaum mehr einen Gedanken daran verschwendet; erst Jahre später, in diesem
Restaurant in Sydney, erinnerte ich mich auf einmal wieder an alles. Sein
Problem war Folgendes gewesen:
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