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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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– Nun wird es gleich wieder kitschig. Sylvia auf ihrem Eso-Trip würde wahrscheinlich wieder von Achtsamkeit sprechen. Aber mir gefällt Respekt besser.
    15. August
    Gesundsein ist normal. – Margots Spruch habe ich mir mittlerweile so übersetzt: Gesundsein ist nichts, wovor ich mich fürchten müsste. Gesundsein heißt Veränderung, und Veränderung ist eben normal. Du musst nicht anders sein. – Die beiden Sätze gehören zusammen! Merkwürdig, dass mancher Trost so lange braucht, um aufzugehen. In Zukunft werde ich versuchen, mir das Leben nicht immer so schwer wie möglich zu machen.
    21. August
    Jeder Trost ist eine Geschichte, die erzählt wird. Und wirkt nur, wenn diese glaubwürdig ist. Sie kann lang sein, tausendundeine Nacht umspannen oder nur ein paar Worte. Die kürzeste Fassung braucht nicht einmal ein einziges. Sie lautet: Da ist jemand, du bist nicht allein.
    Selbst wenn sie nur ein paar Takte Musik einschließt, die ein vor Jahrzehnten die Treppe hinuntergestürzter Tenor mit seiner wundervollen Stimme gestaltet hat.
    Stumm werden wir uns in die Augen schauen,
    und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen.
    Max schüttelt den Kopf in einer nur Menschen möglichen Mischung aus Unverständnis und Zustimmung.
    Er legt die CD mit den Strauss-Liedern ein und dreht die Lautstärke auf. Schließlich beerdigt er das Trosttagebuch in dem Karton unter dem Bett, mit den anderen Sachen, die zum Vergessen freigegeben sind.
    Manchmal ist die Lösung doch viel einfacher, überlegt er. Da braucht man keinen Trost, sondern nur eine Tasse Tee.

35.
    Die Menschen fühlen sich immer so schwer oder so leicht wie die Welt um sie herum.
    Weit kommt Max mit Krücken nicht mehr. Aber bis zur Buchhandlung auf der anderen Straßenseite reicht es gerade noch. Dort trinkt er an einem mit winzigen Tonscherben verzierten Tisch seinen Espresso. Er hat sich gerade hingesetzt und seine Bestellung durch die Tür gewunken, da kommt eine Kundin heraus. Ihr Blick fällt auf die Krücken.
    » Wozu hast du die denn?«
    » Zum Gehen.«
    Sie lacht. » Auf eine dumme Frage bekommt man eine dumme Antwort.«
    Max nickt und richtet sich schon auf das hoffentlich kurze Gespräch über seine Krankheit ein. Aber schon bei der Nennung der Diagnose nimmt es eine unerwartete Wendung. Die an dieser Stelle normalerweise kommenden Beileidsbekundungen, die als Sprungschanze für die guten Ratschläge oder die eigenen Krankheiten dienen, bleiben aus. Stattdessen sagt die vielleicht fünfzigjährige Frau mit breitem slawischen Akzent: » Ich kann dich gesund machen. Nun, ich kann es nicht versprechen. Natürlich kann ich es nicht versprechen, aber ich kann es. Übrigens, ich bin die Waltraudis.«
    Normalerweise hätte Max nach zwei pflichtschuldigen Fragen das Gespräch an dieser Stelle beendet. Und nun macht er genau das Gegenteil, indem er gerade nicht fragt, wie sie das anstellen würde, sondern, wo sie wohnt. Sie kramt aus ihrem Umhängebeutel einen Zettel von einem Abreißblock – ausgerechnet dem Werbegeschenk eines Pharmaunternehmens. Mit dunkelblauer Tinte steht darauf ihr Name, die Adresse und ihre Berufung: Bioenergetikerin.
    » Das kennst du, oder?«, fragt sie.
    Max schüttelt verneinend den Kopf und sagt dennoch: » Bestimmt, ich kenne fast alles.«
    » Na, ich heile nach Dimitri. Wann kommst du vorbei?«
    Zu seinem eigenen Erstaunen hört er sich antworten: » Ginge es gleich morgen früh? Wenn wir das nicht gleich machen, wird das nie etwas.«
    Erst daheim, wieder am Schreibtisch, fragt er sich, was ihn geritten hat. War es wegen der würzigen Septembersonne, hat er gehofft, die Energetikerin so schneller abwimmeln zu können? Er geht alle möglichen Beweggründe für seine Zusage durch, aber keiner passt.
    Mehr noch, am nächsten Morgen steht er – zwar eine halbe Stunde später als ausgemacht, aber immerhin – vor ihrem Haus. Waltraudis wohnt in einem abgewirtschafteten Plattenbau ungefähr einen Kilometer entfernt. Sie nimmt ihn an der Haustür in Empfang.
    » Ein bisschen spät bist du dran, aber bitte«, sagt sie und hilft ihm über die Stufe. Sie scheint keinen Augenblick an seinem Kommen gezweifelt zu haben. Ein Nachbar wird kurzerhand aus dem Aufzug gescheucht. Die zwei Stockwerke könne er wohl wirklich zu Fuß gehen, ruft sie ihm nach.
    In ihrem winzigen Ein-Zimmer-Appartement thront eine mit weißem Frottee überzogene Massageliege. Der Kleiderschrank steht halb offen, an der Wand hängt, der Anblick beruhigt Max, auch
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