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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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her. Anscheinend geht von dir gerade etwas aus, das mich sichtbar macht. Am liebsten würde ich das Tierchen für dich einfangen, so selig lächelst du es an. Aber das Eichhörnchen hat seinen eigenen Kopf und verschwindet in der Krone der nächstgelegenen Kastanie.

34.
    Ein Mensch ist dann rundum getröstet, wenn er nicht mehr über Trost nachdenkt.
    Bei Sylvia dudelt in der Küche ein Schlagersender. Ihre Mitbewohnerin braucht das zum Kochen. Gleich gibt es WG -Spaghetti mit Restesauce und danach ein heilendes Telefonat in die Schweiz. Sonntagabendfreuden einer frisch Verliebten.
    Sylvia liegt auf dem Bett und liest sich eine Mail an Max durch. Die Frage, was seine Freunde trösten würde, schickte er schon vor Monaten herum, aber bislang fühlte Sylvia sich nicht in der Lage, sie zu beantworten. Wahrscheinlich ist er an dem Thema überhaupt nicht mehr interessiert. Dennoch kann sie das nicht einfach im Raum stehen lassen.
    » Liebes Mäxle, auf deine Rundmail bin ich dir noch ne Antwort schuldig. Für mich klingt Trost wie Toast. Lach jetzt nicht! Als Kind fand ich Toast total tröstlich. Wir hatten selten welchen. Ich weiß nicht wieso, aber so ein warmes Brot am Morgen, mit Butter, die von ganz allein zerläuft, das war für mich der Inbegriff von Geborgenheit und Trost. Überhaupt essen … Heute ist Trost für mich das Gefühl, zur Ruhe zu kommen, anzuhalten. Einen freundlichen Blick auf mein Leben zu werfen und sich zu sagen: Eigentlich machst du das doch ganz gut. Ich lächle mir dann selber zu, und beide finden wir das besänftigend.
    Trost bedeutet für mich, wirklich zu leben, nicht zu rasen. Mit Respekt zu atmen. Nicht lethargisch werden. Sehen, was es zu sehen gibt. Spüren, was da ist. – Hört sich ein bisschen abgegriffen an. Wenn ich das Gefühl habe, wirklich in der Zeit zu sein, dann fühle ich mich getröstet. So long, muss essen. Und telefonieren! Deine angehende Heilersbraut.«
    Sie drückt auf » Senden« und geht rüber in die Küche.
    Bei Max dudelt eine CD mit seinen Lieblingsliedern. Und er brummt, hinter dem Schreibtisch kauernd, jedes Mal lauter mit. Plötzlich stutzt er: » Wir woll’n uns still dem Schicksal beugen, da uns dein heil’ger Trost anweht.«
    Ist es das, aller Trost ein Hauch, der das Leid leichter ertragen lässt? Rückblickend scheint es ihm so, als wäre er ein Jahr lang weniger auf der Suche nach Heilung gewesen denn nach Trost. Dieser war gar nicht deren Ersatz, nicht der Trost-, sondern der Hauptpreis.
    » Still dem Schicksal beugen« – das klingt allerdings ein wenig aufdringlich nach demütig gesenktem Kopf. Wie wäre es stattdessen mit: Wir woll’n ruhig das Schicksal hinnehmen? Max versucht, seine Neufassung zu singen. Sie passt nicht ganz auf die Noten. Aber was passt in diesem Zusammenhang schon ganz? Ohne Hilfskonstruktionen geht es nicht, heißt es irgendwo bei seinem Lieblingsautor. Manche Umwege stellen sich eben erst nachträglich als richtig heraus.
    Max kramt aus dem Stapel mit den Klarsichthüllen einen DIN -A4-Block hervor, in dem er fast ein Jahr lang seine Beobachtungen zum Trost notiert hat. Kurz überlegt er, ob er die Schubertassoziationen aufschreiben soll, entscheidet sich dann aber dagegen und druckt stattdessen Sylvias E-Mail aus. Sorgfältig klebt er sie auf die letzte Seite, gegenüber seiner Trostsatz-Liste. Im Widerspruch zu seinem Vorsatz, nicht zurückzuschauen, liest er die letzten drei Einträge:
    »9. August
    Und noch eines steht für mich jetzt fest: Trost zu finden ist keineswegs einfacher als Heilung. Man kann ihn unmöglich in einen Satz pressen. Es war vergebliche Liebesmüh, diesen einen, alles umfassenden Vers, diese eine Geste, dieses eine Bild zu finden. Alle Sentenzen, die ich mir in den letzten Monaten zusammengesammelt habe, verlieren beim Wiederlesen ihre Kraft, nur ganz wenige halten einer veränderten Stimmung stand. Es gibt auf der Welt schon genug Leute, die glauben, sie könnten anderen sagen, was sie machen sollen, statt einfach mal zuzuhören.
    Von seinem Schmerz erlöst wird nur, wer den Trost bereits in sich trägt. Deshalb kann niemand gegen seinen Willen getröstet werden.
    Schlussendlich braucht nur noch das Tuch darüber weggezogen werden, um Trost als solchen zu erkennen. Trösten kann nur das, was in einem ist. Und da ist viel mehr, als ich jemals vermutet hätte: verschüttet, überwuchert, geborsten zwar, aber es ist noch da.
    Voraussetzung ist Respekt: mit sich selbst, dem Körper, der Natur …
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