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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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probiert für seinen Lebenslauf gleich einen neuen Satz aus: » Und dann habe ich im Alter von achtunddreißig Jahren eine Kapelle gebaut.«
    Für Johanna ist es eine typische Männeridee. Männer brauchen immer etwas Großes, etwas ganz Großes. Ein bloßes Holzkreuz, wie zu Beginn des Gesprächs, reicht ihnen nicht. Nein, es muss gleich ein meilenweit sichtbares Gebäude sein. Da passt es, dass Max, zunächst mit scherzhaftem Unterton und dann immer selbstverständlicher, von einer Kathedrale spricht.
    Und auch das ist in ihren Augen typisch Mann: dass die beiden sich nicht einmal einigen können, wem die Kapelle geweiht werden soll. Ulrich ist eher für etwas Unbestimmtes, Vieldeutiges. Auf jeden Fall müsse neben einem Kreuz, auf das man wohl nicht verzichten könne, ein mindestens gleichgroßer Buddha stehen. Eine Kapelle der Weltreligionen.
    Max hingegen sieht einen Marienschrein vor sich. Mit quietschbunten, kitschigen Figuren und Dutzenden Votivtafeln an den Wänden. Die dazugehörigen Wunder würde er sich eigenhändig ausdenken.
    Doch Johanna, die sich eigentlich heraushalten will, legt bei diesem Vorschlag die Stirn in Falten, so dass Maria als Patronin ausscheidet. Um etwas Sand ins Getriebe zu streuen, schlägt sie eine Gedenkstätte für alle Homosexuellen der Welt vor. Die beiden Männer sehen sie irritiert an: Warum denen ausgerechnet im hintersten Winkel des Allgäus gedacht werden soll, leuchtet ihnen nicht ein.
    » Genau deshalb«, sagt Johanna.
    So gehen sie ins Bett. Max mit den Plänen für eine alles überragende Kathedrale im Kopf, Ulrich mit der Vision eines alles umspannenden Kraftzentrums und Johanna voller Sorge, dass am Ende doch wieder sie allein mit dem Spaten dastehen würde.
    Am nächsten Morgen löst sich die Frage nach der Größe der Andachtsstätte wie von selbst. Auf der ins Auge gefassten Wiese zwischen Straße und Hof steht die Kapelle bereits, ohne dass sie es bei der mitternächtlichen Ortsbegehung gemerkt hätten.
    Vor vier Jahren, unmittelbar nach Übernahme des Hofes, hat Ulrich zwölf Birken in einen Kreis mit ungefähr acht Meter Durchmesser gepflanzt. Die Bäume sind inzwischen so gewachsen, dass sie im Sommer nur noch eine kleine Scheibe Himmel freilassen. Das ist sie, ihre Kathedrale. Rundherum müsste man nur noch ein Mäuerchen bauen und den Weg ins Innere pflastern.
    Noch während sie inmitten des Kreises stehen, die Augen nach oben gerichtet, hat Max eine Idee, wem die Kapelle statt Maria und Buddha gewidmet sein könnte.
    » Wie wäre es, wenn wir sie den Menschen widmen? Den lebenden, den toten und den noch nicht geborenen?«
    Ulrich nickt.
    » Eine Kathedrale des Trostes«, sagt Johanna.
    In dem Moment kreuzt ein Vogel die Himmelsscheibe, und die Frage ist entschieden.
    Zurück in München, fährt Max direkt vom Hauptbahnhof in seinen Lieblingspark hinter der Bavaria. An dem späten Sommernachmittag leuchtet in den Straßen so viel Gewissheit, dass Max ganz trunken davon wird. Das durch die grünmüden Blätter fallende Sonnenlicht überpinselt die Gebäude rings um die Theresienwiese mit einer alles Leid abwehrenden Lackschicht aus Zuversicht.
    Die Spatzen auf dem Kiesweg plustern sich auf, bis zum Sonnenuntergang herausgenommen aus dem Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden. Selbst die Spinne in ihrem durchhängenden Netz lässt sich von einem Windhauch vor- und zurückschaukeln, ohne irgendeine Absicht, die über den Moment hinausginge. Das Geplapper der Kinder auf der Wippe klingt wie ein Gespräch altersmilder Philosophen. Ein junger Hund schließt nach Minuten des Aufbegehrens Frieden mit seiner Leine.
    In diesem einen Augenblick ist Max fest davon überzeugt, dass es auf der Welt genauso viel Trost wie Leid gibt. Genausoviel Heilung wie Verfall. Unendlich viel und genug für jeden, von allem. Wie könnte es anders sein? Es muss doch auch hier ein Gleichgewicht herrschen, wie überall sonst auch.
    Am liebsten würde er sich dies auf den Handrücken tätowieren lassen, um es ja nie mehr zu vergessen: Es gibt genug Trost für jedes Leid, Heil für jedes Leben.
    Gar keine schlechte Idee, das mit dem Trost-Tattoo.
    Ich habe mich zu dir auf eine Holzbank neben die gusseiserne Bavaria gesetzt. Fast trotzig reckt sie ihren Lorbeerkranz in den blauen Himmel. Dass du mich nicht wahrnimmst, stört mich nicht mehr. Der Rollstuhl steht hinter uns wie ein stummer Diener, jederzeit einsatzbereit.
    Ein Eichhörnchen kommt angehüpft, bleibt stehen und sieht fragend
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