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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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Sie müssen Schwester Katharina unbedingt kennenlernen«, sagt Rebecca schließlich, » nicht weil sie auch im Rollstuhl sitzt, sondern weil ich keinen anderen Menschen kenne, der so viel Zuversicht ausstrahlt.«
    Als hätte sie nur auf dieses Stichwort gewartet, öffnet sich die Terrassentür und Schwester Katharina rollt ihnen entgegen.
    » Gerade habe ich von dir gesprochen«, begrüßt Rebecca sie. » Das ist Maximilian. Der ist auf der Suche nach dem, was ihn trösten könnte. Vielleicht hilft es ihm, wenn du deine Geschichte erzählst.«
    Schwester Katharina schüttelt Max die Hand und sieht ihn dabei durch ihre verrutschte Brille prüfend an.
    » Ja, da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen.«
    Nach einigen schmeichelnden Bitten Rebeccas tut sie es doch.
    Katharina wurde zwar im selben Jahr geboren wie Max und wuchs nur hundert Kilometer entfernt auf, aber dennoch trennen die beiden Welten.
    Mit fünfzehn Jahren hatte sie schon ebenso viele Operationen hinter sich. Mal wurde hier eine Sehne verlängert, mal ein Gelenk neu justiert. Oder, noch öfter, eine vorangegangene Operation korrigiert. Kein einziger Eingriff brachte eine Verbesserung der bei der Geburt entstandenen Behinderung. Manchmal blieb sie nur ein paar Monate, einmal sogar ein ganzes Jahr im Krankenhaus. Noch die Neunjährige schoben ihre Eltern im Kinderwagen herum. Bis dieser eines Tages zusammenkrachte. Sie schämten sich, für ihre Tochter einen Rollstuhl zu beantragen. Damit hätten sie vor dem ganzen Dorf eingestehen müssen, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Und vor sich selbst. So musste eben der Kinderwagen herhalten oder die Schubkarre. Katharina saß viel in der Küche, während die anderen Kinder draußen spielten.
    Nur einmal begehrte sie auf, als sie wieder Monate im Krankenhaus verbringen musste, weil die Stahlklemmen in ihrem Knie verrutscht waren. Da war sie ungefähr dreizehn. Sie malte ein Schild, das ihre weniger eingeschränkte Zimmergenossin über das Stationszimmer hängte. Darauf stand: » Jetzt oder nie: Anarchie« und darunter, in kleinerer Schrift: » für mehr Freiheit und Würde im Krankenhaus«. Was »Anarchie« bedeutete, wussten sie beide nicht. Doch Katharina ahnte, dass sie mit diesem Wort provozieren konnte. Was auch schmerzhaft gelang.
    Ein Wort aus der Benediktsregel war es schließlich, das sie mit Ende zwanzig traf wie ein Blitz: » Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?« – Ich, schrie Katharina, ich bin es. Seitdem lebt sie hier. Sie deutet mit einer Hand auf das Haus und den Garten.
    Max ist verstummt angesichts so viel Überlebenswillen. Und wundert sich, diesen Satz in der Benediktsregel überlesen zu haben. Hat sie ihm das alles erzählt, um ihm zu zeigen, wie gut es ihm trotz allem ging? Nein, auf so etwas würde sie gar nicht kommen, so wie sie von innen heraus leuchtet. Diese Schwester ist so bei sich, dass sie selbst von ihrem Leid voller Liebe sprechen kann, ohne Verklemmungen. Das ist es.
    » Und was ist für Sie Trost?«, fragt er schließlich.
    » Trost.« Schwester Katharina macht eine Pause. Dann wird ihre Stimme auf einmal fest. » Trost war für mich jeder Tag daheim, den ich nicht im Krankenhaus verbringen musste. Sobald man mir ein bisschen zu leben gibt, geht für mich die Sonne auf. Mir kannst ein Eis hinstellen, und ich freue mich. Und wenn ich im Rollstuhl bis vor ein Café komme mit Stufen davor, dann freue ich mich, dass ich immerhin bis vor das Café gekommen bin. Ja, da schaut ihr zwei jetzt, weil ihr denkt: Im Café wäre es noch schöner. Aber ich habe eine zuverlässige Frage gefunden, ob etwas wirklich Trost ist: nämlich dann, wenn etwas in mir ein Gefühl der Dankbarkeit auslöst. Wenn ich für etwas, was ich bekommen habe, das Leben im Kloster oder das Sonnenfunkeln auf der Isar oder Rebecca als Verstärkung hier, dankbar bin, dann hat es mich auch getröstet. Wer sich bedankt, macht sich nicht klein, der bleibt aufrecht. Egal, wie bucklig er ist. Der nimmt an und gibt etwas zurück.«
    Sie zwinkert ihm zu, dann wird endlich Kuchen gegessen.
    Während er das Tor hinter sich zuzieht, lächelt Max zufrieden: Endlich weiß er, was Trost auf Augenhöhe bedeutet. (Und ist gleichzeitig froh, dieses Wissen in die Freiheit seines Lebens jenseits von Klostermauern mitnehmen zu können.)

33.
    Statt ein mickr i ges Apfelbäumchen zu pflanzen, kann man auch gleich eine Kathedrale bauen.
    Bei jeder Bewegung fängt der Matratzenberg an zu
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