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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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Lampenfieber und versucht sich Kopfschmerzen einzureden. Aber es hilft alles nichts, Rob ist schon auf dem Weg. Und tatsächlich, kaum hat Max seine Handynummer herausgesucht, um trotzdem abzusagen, klingelt es.
    Rob, ein durchtrainierter Mittzwanziger mit weiten, schlabbrigen Hosen und einem eng anliegenden T-Shirt, verweigert ein längeres Gespräch, läuft schnurstracks an ihm vorbei in die Küche und stellt zwei Stühle in den Raum. Über seine Beweggründe hätten sie ja schon ausführlich gesprochen.
    » Nur vom Reden ist noch keiner Solist geworden!«
    Max fügt sich. Schließlich hat er sich bei seinen Freunden weit aus dem Fenster gelehnt. Warum solle man nur mit den Beinen tanzen können, hat er grinsend in teils skeptische, teils begeisterte Gesichter gesagt. Ja, warum? – Jetzt gibt es definitiv kein Zurück mehr. Seine erste Ballettstunde beginnt. Er wird Tänzer.
    Rob hilft ihm beim Umsetzen und schiebt den Rollstuhl in den Flur. Max atmet dreimal tief durch, so wie er es beim Qi-Gong gelernt hat. Schon ist Rob wieder da und setzt sich ihm gegenüber. Als Erstes zeigt er ihm die Grundpositionen. Aber noch bevor Max sich im Zuschauen einrichten kann, soll er sie nachmachen: erste Position. Aufrichten. Max hebt die Hände wie ein Schüler, der sich der Antwort plötzlich nicht mehr so sicher ist. Zweite Position, dritte – schon sackt er in sich zusammen. Er lacht schüchtern. Rob lässt sich davon nicht täuschen, sondern fordert ihn auf, es gleich noch einmal zu versuchen.
    Max gefällt der Ernst, mit dem sein Ballettlehrer die Sache betreibt, und dass er ihm nichts durchgehen lässt. Und dass es endlich einmal nicht darum geht, gesund zu werden oder irgendetwas für seinen Körper zu tun, sondern einzig darum, eine ansatzweise flüssige Bewegung hinzubekommen.
    Seine Physiotherapeutin Ute hätte bei jeder Dehnung angekündigt: Das ist jetzt gut für die Wirbelsäule und den Beckenboden! – Rob hingegen sagt nach einer kobragleichen Streckung des Kopfes nach hinten nur: » Jetzt weißt du auch, warum so viele Tänzer einen Bandscheibenvorfall haben.«
    Schon nach einer halben Stunde spürt Max, wie sich sein Brustkorb geweitet hat. Mit zunehmender Begeisterung streckt er sich in alle Richtungen. Etwas ist in Bewegung geraten, auch wenn er noch nicht weiß, was daraus werden wird. Aber eines spürt er deutlich: Die Richtung stimmt.
    Ist das nicht sonderbar, allein dadurch zu wachsen, weil man sich gerade hält? Und tausendmal besser ein Balletttänzer zu sein, der nicht tanzen kann, als ein routinierter Behinderter! In Zukunft werde ich mich nicht mehr hinter dem verstecken, was ich nicht kann. – Kaum hat Max den Gedanken zu Ende gebracht, fallen ihm die Arme herunter wie abgeschossene Tontauben. Rob lässt ihn ein paar Sekunden verschnaufen, bevor es weitergeht.
    » Strecken! Strecken habe ich gesagt. Da, den Arm, so richtig! Bis hier, genau … Ich weiß schon, dass das wehtut. Und schummel nicht dauernd!«
    Er greift nach der Hand von Max und zieht sie in einer weiten, fließenden Bewegung nach oben.
    Euer anstachelndes Lachen ist bis ins Schlafzimmer zu hören. Man kann gar nicht anders als mitzulächeln. – Nur lächeln, keine Verrenkungen. So weit kommt es noch, dass ich mich hier zum Affen mache.
    Rob wird schon aufpassen, dass du nicht vom Stuhl fällst. Ihr zwei kriegt das erst mal auch ohne mich hin. Bei den Pirouetten komme ich dann wieder dazu …
    Während du also drüben tanzt und schwitzt – mehr schwitzt als tanzt, aber egal –, sitze ich auf deinem Bett und krame in dem Karton der vergessenen Dinge: der Rosenkranz deiner Großmutter, ein Liebesbrief, unterschrieben mit einem schon fast verdrängten Namen, ein paar Kondome. Der Block mit dem Trosttagebuch … Wie ich dich inzwischen kenne, wirst du den Karton bei dem anstehenden Umzug peinlich berührt hervorziehen und schnell in eine Kiste stopfen. Damit die Helfer ja nicht sehen, was neben der Bibel noch unter deinem Bett verstaubt. (Ich habe übrigens schon eine Wohnung im Auge. Es wird nicht ganz leicht, die für dich zu bekommen, aber ich bleibe dran …)
    Dein Trosttagebuch liest sich wie die umständliche Herleitung eines Physikers, warum der Apfel vom Stamm fällt. Kein Wunder, dass es dich irgendwann gelangweilt hat. Aber es war bestimmt hilfreich, das alles einmal durchgekaut zu haben. Einiges bleibt garantiert hängen …
    Wie der allererste Eintrag, der wird alle Umzüge deines Lebens überdauern. Schon allein deshalb,
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