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Im Bann der Träume

Im Bann der Träume

Titel: Im Bann der Träume
Autoren: Andre Norton
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1
     
    Charis duckte sich hinter den Baumstumpf und preßte die mageren Hände auf die schmerzende Stelle an ihrer Seite. Sie atmete keuchend, und jeder Atemzug erschütterte ihren ganzen Körper. Das Blut klopfte dumpf in ihren Ohren, und sie konnte kaum etwas hören. Mehr als Licht und Dunkel, Schatten und offene Weite vermochte sie nicht zu erkennen. Selbst der blutrote Stumpf des Milchbaumes war in der ersten Dämmerung grauschwarz. So dunkel war es aber nicht mehr, um die Spuren auf dem Bergpfad zu übersehen.
    Wille und Geist stürmten vorwärts und nach oben, aber ihr schwacher Körper blieb am Rand der Siedlungslichtung und in deren Reichweite. Charis kämpfte mit äußerster Anstrengung gegen die Angst; sie vermochte noch so klar zu denken, daß sie diese Angst als Feind erkannte. Sie zwang sich zum Aushalten im Schatten des Baumstumpfes und stellte bewußt ihren Willen unter die Herrschaft des Verstandes, denn sie wußte, die Angst wäre ein verzehrender Brand gewesen. Und sie wußte nicht einmal genau, wann sie diese Angst zum erstenmal kennengelernt hatte. Seit Tagen war sie von ihr beherrscht gewesen, aber gestern war sie voll zum Ausbruch gekommen.
    Gestern! Charis versuchte die Erinnerung an gestern von sich abzuschütteln, aber auch ihr mußte sie sich nun stellen. Panik; Rennen; nicht aufgeben, sonst war sie verloren. Sie wußte, daß sie mit dem Feind zu kämpfen hatte; sie war zu schwach, um mit ihm Kräfte zu messen, also kam es auf schnelles und exaktes Denken an.
    Als sie hinter dem Baumstumpf auszuruhen versuchte, durchforschte sie ihr Gedächtnis nach den winzigsten Einzelheiten, die ihr als Waffe dienen konnten. Angefangen hatte die ganze Geschichte schon vor sehr langer Zeit; Charis wunderte sich, daß ihr das nicht schon viel früher zu Bewußtsein gekommen war. Selbstverständlich hatten sie und ihr Vater mit einigem Mißtrauen gerechnet, als sie Varn verließen, um sich auf den Weg zu den Kolonisten zu machen.
    Ander Nordholm arbeitete für die Regierung. Er und seine Tochter wurden von den Kolonisten als Außenseiter und Fremde angesehen, und den anderen Außenweltlern, Franklyn, dem Ranger, dem Hafenbeamten Kaus und seinen zwei Wächtern, dem Gesundheitsbeamten und seiner Frau, ging es nicht anders. Aber es war Vorschrift, daß jede Kolonie einen Erziehungsbeamten haben mußte. In früherer Zeit gingen nur allzu oft wichtige Vorposten der Konföderation verloren, wenn Fanatiker die Dinge in die Hand nahmen, die Erziehung nach eigenen Gutdünken umkrempelten und die Verbindung zu anderen Außenwelten abschnitten.
    Natürlich hatten die Nordholms versucht, sich anzupassen, aber die strenggläubige Kolonie hatte sie in Acht und Bann getan. Einen nach dem anderen hatte ihr Vater zu sich herübergezogen, so unwahrscheinlich es anfangs auch ausgesehen hatte. Charis wußte das genau, denn man hatte sie zu einer Bekehrungsversammlung der Frauen eingeladen. Oder hatten sie sich beide darüber getäuscht?
    Trotzdem wäre alles nicht geschehen, wäre nicht der weiße Tod gewesen. Charis seufzte. Auf einem neubesiedelten Planeten hockten überall die Schatten der Angst. Kein Sicherheitssystem konnte sie ausschalten; sie warfen sich auf das schwache Pflänzchen aufkeimender Kolonistengemeinsamkeit. Und dann hatte der Tod auf sie gelauert, ein Tod, den niemand sah, dem niemand mit einem Jagdmesser oder einer Schußwaffe zu Leibe rücken konnte, der jeder medizinischen Erkenntnis spottete, die man sich in den vielen Jahrhunderten einer nach unzähligen Planeten greifenden Raumfahrt innerhalb der ganzen Galaxis angeeignet hatte.
    Als die Krankheit zuschlug, stärkte sie gleichzeitig die Vorurteile der Kolonisten, denn die ersten Opfer waren die Regierungsbeamten. Der Ranger, der Hafenkapitän und seine Leute, ihr Vater – Charis mußte die Faust auf den Mund pressen, um den aufsteigenden Schmerz zu unterdrücken. Die Kolonisten kamen erst später an die Reihe, und dann auch nur die, die zu den Regierungsleuten freundlich gewesen waren. Nur die Männer und Knaben dieser Familien starben.
    Es war eine böswillige, häßliche Behauptung der Überlebenden, die Regierung stehe hinter dieser Epidemie. Das hatten sie geschrien und gekreischt, als sie das kleine Hospital niederbrannten. Charis lehnte ihre Stirn an den rauhen Stamm und versuchte die Erinnerung wegzuschieben. Sie war mit Aldith Lasser beisammen gewesen, und sie beide hatten versucht, den Sinn einer Welt zu erfassen, die ihnen innerhalb von
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