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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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für seine ihrer Meinung nach verweichlichte Sehnsucht nach Erlösung und Heil. Sie ist die Einzige, die ihm jetzt die Beichte abnehmen könnte. Mitgefühl würde er nicht ertragen.
    Gitta erledigt das mit norddeutscher Gründlichkeit: » Du solltest dich eher fragen, warum du zu so etwas hingehst. Das ist das eigentliche Problem. Nicht diese Heilskaufleute, sondern deine Unfähigkeit, deutlich Nein zu sagen. Stattdessen wunderst du dich, dass sie dich ganz haben wollen. Sie werden sich mit deinen Gastspielen nicht zufriedengeben.«
    Ihre Worte beruhigen sein schlechtes Gewissen. Sie ist sich so beruhigend sicher in ihrer Ablehnung, dass er sich nicht einzugestehen braucht, insgeheim doch wenigstens etwas Linderung erhofft zu haben.
    Beim Warten auf die Trambahn erzählt sie von ihrem Ex-Freund. Dieser stand eines Morgens selig lächelnd im Badezimmer. Trotz eines unerträglich schmerzenden Bandscheibenvorfalls. Im ersten Moment dachte sie: Jetzt ist er endgültig durchgedreht. Der Freund hatte aber lediglich am Vorabend einen Heilpraktiker konsultiert. Dieser verordnete ihm, vierzig Tage lang durchzulächeln. Wie die Mönche in einem buddhistischen Kloster, ununterbrochen, pausenlos lächeln. Wenn einer der Mönche für eine Sekunde die Mundwinkel sinken lässt, wird er ins Tal geschickt, um einen Fingerhut voll Wasser zu holen. Ihr Ex-Freund, diese Memme, hat es dann nicht einmal einen Tag durchgehalten, sondern lieber weitergejammert.
    Deine Freunde haben was. Alle ein bisschen schräg, aber jeder auf seine Weise. Die werden mir einiges an Arbeit abnehmen. Man scheint sich auf sie verlassen zu können, so wie du dich auf sie.
    Wenn du mit deinem Körper nur halb so vertrauensvoll umgehen würdest wie mit Johanna, Gitta und Co., weniger unbeteiligt, würdest du dich vielleicht nicht so verloren darin fühlen. So abgeschnitten von jeglicher Rückkehr in das Leben von früher.
    Würden sie dich fragen, ob du überhaupt gesund werden willst, bekämen sie garantiert keine eindeutige Antwort. Es traut sich natürlich keiner. Ihr tut so, als ob das selbstverständlich wäre. Und das, obwohl ihr allesamt Veränderungen fürchtet wie der Teufel die Frommen.
    Du hast dich anscheinend so darauf eingestellt, deine jeweilige Verfassung als unantastbar zu akzeptieren, dass Heilung schon lange aus deiner Vorstellung verschwunden ist. Deswegen begegnest du plumpen Heilsangeboten mit Spott und verborgenen mit Gleichgültigkeit.

4.
    Sobald ein Mensch anfä n gt nachzudenken, macht er aus einer Selbstverständ lichkeit ein Problem.
    Max sieht keinen anderen Ausweg als zu funktionieren. Das geht drei Wochen gut. Solange er daheimbleiben kann. Da ist alles einfacher. Da weiß er ohne hinzusehen, wo eine Wand ist, um sich abzustützen. Da kommt er rechtzeitig zum Klo. Da gibt es nur die beiden Stufen zum Bürgersteig … Doch dann soll er zu einer Tagung nach Stuttgart. Am liebsten würde er sich entschuldigen. Seine Schwester bestärkt ihn darin: Jeder würde verstehen, wenn er nicht käme.
    Genau deswegen sagt er zu.
    Der eigentliche Grund für sein Zögern war, dass er sich den anderen nicht mit Rollstuhl zeigen möchte. Sie kennen ihn seit Jahren mit einem abgewetzten schwarzen Gehstock. Die letzten beiden Male kam er mit den Krücken. Die gingen noch durch als Zeichen einer nur vorübergehenden Verschlechterung. Ein Rollstuhl hingegen hat die Endgültigkeit eines Grabsteins. Vielleicht würde er es sogar noch einmal ohne schaffen, aber schon beim letzten Mal war der Weg vom Bahnsteig bis zum Taxi eine einzige Tortur. Am meisten fürchtet er die Blicke der anderen, das schnelle Wegsehen, wenn er angerollt kommt. Er beobachtet sie immer genau, auch wenn er so tut, als wäre es ihm egal.
    Aber niemand sieht weg während der beiden Tage. Alle sorgen sich um den Erfolg des Unternehmens, wie immer eigentlich. Und wie schwer es Max fällt, sich am Morgen im Hotel anzuziehen, die Schuhbänder zu binden, die schwere Zimmertür aufzuziehen, bekommt niemand mit.
    Das Angebot eines Teilnehmers, ihn am Ende der Tagung zum Bahnhof zu begleiten, lehnt er ab. An der zweiten Kreuzung, es geht mächtig bergan, bereut er dies, an der dritten bleibt er an der Bordsteinkante hängen und katapultiert sich fast aus dem Rollstuhl. Wenige Meter weiter beginnt dieser zu eiern. Als Max sich hinunterbeugt, fällt das rechte Vorderrad ab. Er braucht ein paar Sekunden, um zu realisieren, was da passiert ist. Dass auch ein Rollstuhl kaputtgehen kann wie ein
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