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Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Titel: Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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    Reece Gilmore fuhr mit ihrem qualmenden, überhitzten Chevy Cavalier durch das bergige Gelände von Angel’s Fist. Sie besaß noch hundertdreiundvierzig Dollar und ein paar Zerquetschte. Das dürfte gerade noch reichen, um den Wagen reparieren zu lassen und ihn und sich mit neuer Energie zu versorgen. Wenn sie Glück hatte und der Chevy nicht ernsthaft kaputt war, blieb ihr gerade noch genügend Geld übrig, um sich ein Zimmer zu nehmen.
    Aber dann wäre sie auf jeden Fall pleite.
    Sie nahm den Dampf, der unter der Motorhaube hervorqualmte, als Zeichen, dass es höchste Zeit war, ihre Reise zu unterbrechen und sich einen Job zu suchen.
    Was soll’s, kein Problem, redete sie sich ein. Der kleine Ort in Wyoming, der sich an das kalte, blaue Gewässer eines Sees schmiegte, war so gut wie jeder andere. Vielleicht sogar besser. Er engte sie nicht ein mit seinem endlosen Himmel, in den die schneebedeckten Gipfel der Tetons hineinragten wie kühl-distanzierte Götter.
    Sie war vor Tagesanbruch losgefahren und seit mehreren Stunden schon hatte sie sich bereits ziellos durch die Anselm-Adams-Postkartenlandschaft geschlängelt. Sie hatte Coy passiert, war durch Dubois gefahren – und obwohl sie mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Abstecher nach Jackson Hole zu machen, war sie nach Süden abgebogen.
    Irgendetwas musste sie ausgerechnet hier hingeführt haben. Während der letzten acht Monate hatte sie sich vorwiegend von Schildern und ihrem Instinkt leiten lassen. Vorsicht Kurve, Rutschgefahr bei Nässe. Nett, dass sich jemand die Mühe machte, solche Warnschilder aufzustellen.
    Wenn das Sonnenlicht auf eine bestimmte Weise auf eine Nebenstraße schien oder eine Wetterfahne nach Süden zeigte, interpretierte sie das ebenfalls als Hinweis.
    Gefiel ihr das Sonnenlicht oder die Wetterfahne, fuhr sie in die entsprechende Richtung, bis sie einen Ort fand, der zu diesem Zeitpunkt gerade richtig erschien. Dort blieb sie ein paar Wochen oder, wie in South Dakota, einige Monate. Sie suchte sich irgendeinen Job, sah sich die Gegend an und zog weiter, sobald sie Hinweise oder ihr Instinkt veranlassten, eine neue Richtung einzuschlagen.
    Diese Lebensweise gab ihr ein Gefühl von Freiheit und führte dazu, dass die Angst, die zu ihrem ständigen Begleiter geworden war, ein wenig nachließ, was deutlich häufiger der Fall war. Die letzten Monate, in denen sie ganz auf sich selbst gestellt war, hatten ihr mehr geholfen als ein geschlagenes Jahr Therapie.
    Doch wenn sie ehrlich war, hatte ihr die Therapie überhaupt erst dazu verholfen, wieder mit sich klarzukommen. Und zwar Tag für Tag aufs Neue, Nacht für Nacht. Und die vielen Stunden, die dazwischenlagen.
    Und hier, in der geballten Faust von Angel’s Fist, wartete ein weiterer Neuanfang auf sie.
    Zumindest konnte sie hier ein paar Tage den See und die Berge genießen und genügend Geld verdienen, um ihre Weiterfahrt zu sichern. Ein Ort wie dieser, der laut Ortsschild sechshundertzweiunddreißig Einwohner hatte, lebte sicherlich hauptsächlich vom Tourismus, von der schönen Landschaft und dem nahegelegenen Nationalpark.
    Ein Hotel gab es hier bestimmt, wahrscheinlich noch ein paar Bed & Breakfasts und unter Umständen eine Ferienranch im näheren Umkreis. Es könnte Spaß machen, auf einer Ferienranch zu arbeiten. Dort wurde immer jemand für Botengänge, Aufräum- und Putzarbeiten gebraucht – vor allem jetzt, wo das Frühlingstauwetter den Winter endlich zu vertreiben schien.
    Doch da ihr Wagen mittlerweile noch heftigere, verzweifelte Rauchsignale von sich gab, brauchte sie zuallererst einmal einen Automechaniker.
    Sie tuckerte die Straße entlang, die sich wie ein Band um den lang gestreckten, breiten See wand. Im Schatten bildeten Schneereste schmutzig weiße Pfützen. Die Bäume hatten immer noch keine Blätter, aber es waren bereits einige Boote auf dem Wasser. Sie konnte ein paar Männer mit Windjacken und Baseballkappen in einem weißen Kanu erkennen, die durch die sich im Wasser spiegelnden Berge paddelten. Das Bild war so klar, dass sie hochblickte und beinahe erwartete, dass sich auch das Kanu in den Bergen spiegelte.
    Auf der anderen Seite des Sees konnte sie das Ortszentrum ausmachen: ein Souvenirladen, eine kleine Galerie. Sie erkannte eine Bank und eine Post. Das Büro des Sheriffs.
    Sie verließ den See und brachte ihren ächzenden Wagen vor einer Art großen Scheune zum Stehen, in der ein Gemischtwarenladen untergebracht war. Davor saßen ein paar Männer
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