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0017 - Wolfsnacht

0017 - Wolfsnacht

Titel: 0017 - Wolfsnacht
Autoren: Michael Kubiak
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Plötzlich kam Bewegung in die Gestalt. Es war, als würde eine riesige unsichtbare Faust den Mann zu Boden zwingen wollen. Seine Wirbelsäule krümmte sich wie unter einer ungeheuer schweren Last. Dem weit aufgerissenen Mund entrang sich ein Keuchen, das Ausdruck der Wollust zu sein schien. Es klang so erleichtert und glücklich, als hätte der Mann auf das Wirken der unsichtbaren Macht gewartet.
    Immer tiefer sackte sein Kopf nach vorne. Die Beine knickten ein.
    Er sank auf die Knie. Seine Statur wurde sichtbar kleiner, gedrungener. Auch der Kopf des Mannes veränderte seine Gestalt und Form.
    Er flachte an der Stirn ab und wurde länglich. Die Lippen gingen in speicheltriefende Lefzen über. Der Ausdruck der vorher fast glanzlosen Augen wurde stechend. Graue Haare sprossen plötzlich in dem nun schon kaum mehr als menschlich zu bezeichnenden Gesicht. Buschige Augenbrauen wucherten. Die Nasenlöcher vergrößerten sich und schienen eine unbekannte Witterung aufzunehmen.
    Doch nicht nur sein Gesicht veränderte sich auf diese schreckliche Weise, sein ganzer Körper wurde nach und nach von einem grauen Fell bedeckt. Der Mann hatte seine Kleider längst abgestreift. Mehr und mehr glich sein Körper dem eines Vierbeiners. Lange, spitze Ohren bewegten sich zuckend, als würde dieses Tierwesen auf eine geheimnisvolle Stimme lauschen.
    Die wolfsähnliche Kreatur reckte auf einmal den Kopf hoch und stieß ein klagendes Geheul aus. Es war der gequälte Aufschrei eines hungrigen Raubtieres.
    Und der Wolf, denn nichts erinnerte nun noch an seine menschliche Herkunft, sog witternd die Luft ein und suchte sich mit nachtwandlerischer Sicherheit einen Weg durch die Büsche nach unten zum Ufer des Sees, wo der kleine Touristenort Limone Sul Garda in tiefem Schlaf lag.
    Die Jagd hatte begonnen…
    ***
    Franca Capolli hielt den Alfa Romeo Zagato in der Mitte der Straße, die um diese nächtliche Uhrzeit verlassen und öd dalag. Limone, der kleine Urlaubsort am Ufer des Gardasees, war langst zur Ruhe gegangen, und die Halogenscheinwerfer des Sportwagens rissen vereinzelt buntleuchtende Zelte aus der Dunkelheit der Büsche am Straßenrand.
    Jeder halbwegs gangbare Uferabschnitt war für die Erholungsuchenden erschlossen worden, und man hatte zahlreiche Campingplätze angelegt.
    Die Italienerin, Tochter eines Antiquitätenhändlers aus Rom, zweiundzwanzig Jahre jung, war auf dem Weg nach Salzburg, wo sie für ihren Vater eine wertvolle Plastik abholen sollte. Sie war bereits seit mehreren Stunden unterwegs, und allmählich drohte die bleierne Müdigkeit sie zu überwältigen.
    Als wollte sie sich wachrütteln lassen, ließ sie den Motor ihres Flitzers kurz aufheulen und jagte durch einen der zahlreichen Tunnels, die man in mühsamer Arbeit in die Felsen gesprengt hatte. Dann nahm sie wieder Gas weg, und die Tachonadel pendelte sich bei sechzig bis siebzig Stundenkilometern ein.
    Franca bewegte den Kopf hin und her, um die verkrampfte Nackenmuskulatur zu lockern. Dann lehnte sie sich entspannt zurück und schaltete das Radio auf der Mittelkonsole des Wagens ein.
    Die Wählautomatik ließ den Zeiger über die Skala wandern, bis er beim Sender Monte Carlo stehenblieb und heiße Rockklänge durch das Wageninnere fetzten.
    Franca Capolli drehte die Autostereoanlage voll auf. Das war das richtige, um sich wach zu halten.
    Sie tastete nach den Zigaretten auf dem Nebensitz, schüttelte ein Stäbchen aus der Packung, schob es sich zwischen die Lippen und griff nach dem Feuerzeug.
    Sie betätigte den Mechanismus, und zischend sprang die Flamme auf. Sie konzentrierte sich für einen kurzen Augenblick auf die Zigarette und die Gasflamme.
    Daher sah sie auch nicht den grauen Schatten, den die Scheinwerfer aus dem Dunkel zwischen den hochragenden Straßenbäumen rissen.
    Zwei funkelnde Lichtpunkte richteten sich auf das näher kommende Fahrzeug. Der Schatten, der aussah wie ein riesiger grauer Hund, machte einen Satz auf die Straße. Dann noch einen.
    In diesem Moment schreckte Franca Capolli hoch. Hart riß sie das Lenkrad herum. Vergebens. Sie konnte den Zusammenprall nicht vermeiden. Es gab einen dumpfen Laut, als der graue Schatten zur Seite in den rechten Straßengraben geschleudert wurde.
    Das Mädchen konnte sich vorerst nicht darum kümmern, denn sie hatte beide Hände voll zu tun, ihren Sportwagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Ein Erdwall auf der linken Seite bremste den Flitzer so abrupt, daß Franca mit dem Kopf unsanft gegen die
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