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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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    Kapitel 1
    Wo die Hunde mit dem Schwanz bellen
    (Hamburg–Buxtehude)
    D aruma ist keine Schönheit. Nicht nur, weil ihm Arme und Beine fehlen. Er hat buschige Augenbrauen, trägt einen gezwirbelten Schnurrbart, und seinen kugelrunden Leib bedeckt ein Rotkäppchengewand mit goldenen japanischen Schriftzeichen. Und wo sind seine Pupillen? Er hat keine. Der kleine Kobold hockt auf meinem Küchensims und starrt aus toten, schneeweißen Höhlen ins Leere. «Wären die Dinger nicht so furchtbar hässlich, hätte ich dir einen größeren geschenkt!», lächelte meine Liebe. Das war Heiligabend.
    Heute ist der 6. März. Der Tag kam schnell. Viel zu schnell. Und nun schultere ich den Rucksack und ziehe einen schwarzen Filzstift aus der Schublade meines Schreibtisches. Die Japaner glauben, Daruma besitze magische Kräfte. Er soll Glück, Erfolg und gutes Karma bringen. Wer einen Wunsch hat, malt der Figur ein Auge aus. Hat sich der Wunsch erfüllt, pinselt man ein zweites hinzu und verbrennt den seltsamen Wicht in einem Tempel. Meine Hand ist zittrig. Daruma schielt mir einäugig hinterher, als ich die Mitgliedskarte des Alpenvereins Hamburg einstecke, die Wohnungstür schließe und für lange Zeit verschwinde. Ich weiß nicht, wann ich zurückkehre. Ich weiß nicht, ob ich zurückkehre. Ich gehe nach Italien. Zu Fuß. Was für ein absurdes Gefühl.
    Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, im Morgengrauen aufzubrechen. Das hätte so schön konspirativ und geheimnisvoll gewirkt. Doch es ist fast elf, als ich den ersten Wanderfuß ins Treppenhaus setze, und natürlich treffe ich meinen Nachbarn. Herr Römer ist einfach immer da, wenn ich meine Wohnung verlasse. Manchmal denke ich, er arbeitet für irgendeinen Geheimdienst und beschattet mich. Sein Nachname spricht sich übrigens hanseatisch «Rööööömä» aus, mit fünf Ö, einem Ä und einem verschluckten R. «Junge, mit Sack und Pack!», staunt er. «Du willst diesmal wohl länger ausbüxen, wat? Wohin geht denn die Reise?» – «Nach Canossa», antworte ich, und Herr Römer verzieht keine Miene. «Na denn, viel Spaß», sagt er trocken, und ich frage mich, ob der Gute mir überhaupt zugehört hat.
    Meine Stadt kennt nur drei verschiedene Wetterlagen: Nieselregen, Sprühregen und Platzregen. Zwölf Jahre mache ich das schon mit. Aber zum Abschied hat der liebe Gott das ewige Grau beiseitegeschoben. Der wolkenlose Himmel spiegelt sich in den Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster von St. Pauli, die S-Bahn rattert, und eine schwer überlackierte Frau mit rasierten Brauen ruft «Ey, Digger, ich schwöre!» in ihr Handy. Vor einem Gemüseladen steht ein kleiner Junge und zielt mit seinem verpackten goldglänzenden Magnum-Eis auf meine Brust. Ich hebe die Hände, er drückt ab, und ich tue so, als hätte Mandel-Nuss gerade mein Herz durchschlagen. Sonst nimmt niemand von mir Notiz. Trotz der olivgrünen Militärhose, trotz der schweren Wanderschuhe, trotz der zwölf Kilo auf meinem Rücken falle ich nicht auf, als ich die Reeperbahn überquere und Richtung Elbe stiefle. Verrückte gibt es hier genug.
    «Zurückbleiben, bitte, Gangway wird bewegt!», knarzt ein Lautsprecher, die Hafenfähre legt blubbernd von den Landungsbrücken ab, und ich sitze als einziger Passagier an Deck. Es ist warm, der Wind schmeckt nach Sehnsucht, und im Morgenlicht glänzen die Wellen silbern. Wie eiserne Riesen stehen hundert Kräne Spalier, ein griechisches Containerschiff zieht vorbei, auch meine Freunde sagen Lebwohl: Michel, Peter und Wilhelmine, die Schlepper. In meinem Herzen mischen sich Schmerz und Euphorie. Hamburg ist das Tor zur Welt. Aber eben nur das Tor. Und manchmal muss ich raus.
    Was habe ich mir da eigentlich vorgenommen? Nach Canossa gehen. Andare a Canossa. Aller à Canossa. «Canossavandring» heißt es im Schwedischen und «kanosszajárás» in Ungarn. Es bedeutet, zurück auf den Teppich zu kommen. Zu büßen. Zu bereuen.
    Ich folge den Spuren eines zweifelhaften Vorbilds. Es heißt, er habe Mägde geschändet, seine eigene Schwester vergewaltigen lassen und die Sachsen abgeschlachtet wie Vieh: König Heinrich IV., Herrscher über Deutschland, Burgund und Italien. Ein Hurenbock, ein Dämon, vielleicht der Berlusconi seiner Zeit. Doch im Jahre 1076 machte der Lüstling einen folgenschweren Fehler: Er legte sich mit der Kirche an. Heinrich nannte Papst Gregor VII. einen «falschen Mönch», und dummerweise verstand der damalige Pontifex noch weniger Spaß
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