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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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nicht mehr davon, als in seinen Vorurteilen bestätigt zu werden. Wie in einer Hollywood-Komödie: Das Ende steht von der ersten Sekunde an fest, aber bis dahin möchte man anständig unterhalten werden.
    Kurz vor Beginn der Veranstaltung ist Max immer noch allein. Bis auf Helmut, der am Nebentisch seine Bücher zu einem kleinen Wall aufschichtet. Zu allem Überfluss schickt Sylvia eine SMS . Ihr sei kurzfristig etwas dazwischengekommen, aber er hätte bestimmt auch so seinen Spaß. Zum Gehen ist es nun zu spät, ohnehin hat der Rollstuhl ihn bereits verraten.
    Unmittelbar vor Beginn der Lesung stoßen zu seiner Erleichterung noch zwei Bekannte von Helmut dazu, eine der beiden Frauen hat einen Freund mitgebracht. Gemeinsam setzen sie sich an einen Tisch auf dem Bürgersteig vor das Café. Um sich auf Helmuts Methode einzustimmen, sollen sie erst einmal alle in seinem Buch blättern. Max fasst es an wie einen toten Fisch.
    Dann berichtet Helmut von seinem Unfall. Wie der ihn vor zehn Jahren aus seinem Unternehmensberaterleben gerissen und auf eine völlig neue Spur gesetzt hatte. Die fast vollständige Lähmung seiner Beine schien zunächst unheilbar. Bis er selbst eine Methode entwickelte, mit der es ihm gelang, wieder laufen zu können. Das will er weitergeben.
    » Mittels Spiegelneuronen entsteht das Bild des Kranken vor meinem geistigen Auge«, sagt Helmut und starrt dabei seine Bekannte an, als wollte er sie in seinem Hirn klonen. » Eine innere Stimme gibt mir dann die entscheidenden Tipps zur Heilung. Schon als Kind hat sie mir geholfen.« Man könne ihn auch, fährt Helmut fort, für Workshops buchen oder es mit den im Buch ausführlich beschriebenen Übungen zur Energiearbeit versuchen.
    Seit dem Wort » Spiegelneuronen« hat er Max zum Feind, der jetzt nur noch auf den nächsten Unsinn lauert. Nichtsdestotrotz versucht er, sich nichts anmerken zu lassen. Kurze Zeit später senkt sich eine bleierne Müdigkeit über ihn. Immer wieder ermahnt er sich, wach zu bleiben. Ohne über den Sinn nachzudenken, schreibt er dann den ersten aufgeschnappten Satz in sein Notizbuch. Sätze ohne Anfang und Ende wie: Eine Wandlung in bewusstseinsbildende, innere Kraft und mehr Wahrnehmung und Klarheit spendende, konkrete Heilung bringende Energien …
    Auf einmal unterbricht eine der Frauen den Vortrag: Ihre Tochter leide ja seit einigen Jahren an einer plötzlich aufgetretenen Lactose-Unverträglichkeit. Wie er das denn erklären und beheben würde.
    Die Tochter solle sich am besten telefonisch an ihn wenden. In Unkenntnis ihrer Stimme wäre es schwer, eine Diagnose abzugeben, antwortet Helmut.
    Während dieses Geplänkels blättert Max voller Häme bis zum Übungsteil durch das Buch, beinahe erleichtert, keinen einzigen Gedanken zu verstehen. Es wimmelt in dem Text nur so von » Energie«, » Struktur«, » Mechanismus«. Aber die Sätze, in die diese Worte eingelassen sind wie Fliegen in Bernstein, bekommt er nicht zu fassen. Jeder wirkt wie ein Versprechen auf den nächsten, den alles erklärenden. Doch der nächste ist dann doch wieder nur eine Banalität. Plötzlich überflutet Max ein alles mitreißendes Mitleid: mit Helmut, mit der Armseligkeit der Veranstaltung, mit den anderen Zuhörern, mit sich.
    Es ist so trostlos. Und diese Trostlosigkeit schnürt ihm die Kehle zu. Nachdem Helmut die Fragerunde eröffnet hat, sehen die anderen Max erwartungsvoll an: Der Rollstuhlfahrer soll etwas fragen, so einer wie er müsste doch für Helmuts Methode sein letztes Hemd geben.
    Max aber nestelt an seinem Kugelschreiber herum, unfähig, auch nur einen einzigen Satz herauszubringen. Sein Mitleid hat sich in Scham aufgelöst. Er schämt sich für diesen selbsternannten Heiler und vor allem für seine Anwesenheit bei dieser Posse. So schmutzig hat er sich noch nicht einmal nach dem Besuch eines Pornokinos gefühlt.
    Kurz darauf verabschiedet er sich mit einem Kopfnicken und rollt davon. Die Cafés sind voller fröhlicher Menschen. Er fühlt sich von allem ausgeschlossen: von den Passanten genauso wie von der Gruppe um Helmut.
    Schade, dass du schon aufgebrochen bist. Nun bekommst du gar nicht mit, dass just in dem Moment, als Helmut noch einmal die Verlässlichkeit seiner Methode beschwört, zufällig der Wall aus Büchern ins Rutschen gerät und eines nach dem anderen auf den Boden platscht …
    In seiner Not fährt Max bis zum Haus von Gitta, seiner strengsten Freundin. Die hat, obwohl selbst an Hepatitis leidend, nichts übrig
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