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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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Für ihn ist das Ganze nichts weiter als eine weitere lockere Schraube an diesem langen Tag.
    Max bedankt sich bei seinen Rettern und fährt Richtung Bahnhof davon. Erleichtert, weniger wegen des reparierten Rollstuhls als deswegen, wieder ein freier Mann zu sein. Was für ihn bedeutet, nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
    Im Zug nach München bestellt er sich eine Tasse Tee. Nachdem er den Nachmittag hat Revue passieren lassen, schwört er sich, bei Problemen in Zukunft erst einmal abzuwarten.
    Was ist da los? In einem Vorort von Stuttgart glimmt noch etwas von dir. Das hält mich zurück. So etwas Ähnliches ist mir schon auf dem Bauernhof von Johanna und Ulrich passiert. Als ob ein Teil von dir in einem anderen Menschen weiterexistieren würde. Jetzt, bei deiner Retterin, ist es genauso. Sie ist mit dir noch nicht fertig.
    Anke sitzt am Küchentisch ihres Reiheneckhauses in Stuttgart-Vaihingen. Vor ihr das zusammengeschobene Abendessengeschirr. Felicitas hat sich mit der Ausrede, Hausaufgaben machen zu müssen, zum Lesen in ihr Zimmer verkrümelt. Der Platz Anke gegenüber blieb, wie jeden Tag seit einem Monat, leer.
    Das Erlebnis mit dem gestrandeten Rollstuhlfahrer war für Anke das wichtigste Ereignis an diesem Tag. Nicht direkt wegen des Mannes, aber die Begegnung hat einiges zurechtgerüttelt: den Streit mit ihrer Tochter wegen der Ballettstunde, den Ärger wegen des dauernd kaputten Vergasers, selbst die beschissene Beziehungssituation … pillepalle, im direkten Vergleich. Aber der Vergleich hinkt wie alle. Der Typ weiß mit seinem Rollstuhl wenigstens, woran er ist. Einer bald alleinerziehenden, arbeitslosen Mutter bietet keiner Hilfe an.
    Anke lächelt. Irgendwie war es auch komisch, wie der da saß mit der Schraube in der Faust. Und der knorrige Mechaniker erst. Als sie sich bei ihm für seine Hilfe bedanken wollte, wischte er das mit einer ölverschmierten Handbewegung beiseite. Wahrscheinlich war ihm der zugesteckte Zwanziger unangenehm, vielleicht hätte er lieber ohne Gegenleistung geholfen. Dabei hat sie ihm das Geld nicht wegen des Rollstuhls gegeben, sondern wegen des genauso schnell reparierten Vergasers …
    Sie fragt sich, wer nun eigentlich wem geholfen hat: ich dem Behinderten? Oder war es doch nur der Mechaniker, der Vergaser und Rollstuhl repariert hat? Irgendwie hat mir auch der Behinderte geholfen, nur durch unsere Begegnung … Ganz schön verworren das Ganze. Wer hilft, dem wird geholfen. Klingt wie in der Bibel. – Nichtsdestotrotz hätte ich ihn noch zum Bahnhof bringen können. Sei’s drum, er hat es bestimmt auch alleine geschafft.
    Anke schaltet das Licht ein. Und überweist am Computer ihres Noch-Mannes zweihundert Euro von seinem Konto an eine Behinderteneinrichtung in Guatemala. Danach fühlt sie sich so befreit wie schon seit Wochen nicht mehr.

5.
    Manche Menschen trinken sogar Blumendünger, wenn es so bequemer für sie ist.
    Noch bevor er »Nicht schon wieder« zu Ende denken kann, liegt Max am Boden. Beim Hinsetzen ist der Stuhl zur Seite weggerutscht und mit ihm umgefallen. Nachdem er zur Wand gerobbt ist, setzt er sich auf und zieht den linken Fuß unter dem rechten Knie hervor. Er versucht, die Fallbahn nachzuvollziehen. Röte steigt ihm ins Gesicht beim Anblick der Tischkante, die er knapp verfehlt hat. Glück gehabt, wieder einmal. Blöd nur, dauernd auf diese Sorte Glück angewiesen zu sein.
    Der Knöchel sieht normal aus. Die Kratzer müssen von einem anderen Unfall stammen, denn sie sind schon fast verheilt, genau wie die blauen Flecke am Schienbein. Max kann sich nicht erinnern, in den letzten Jahren einmal keine gehabt zu haben, zu oft schlägt er sich mit einer unkontrollierten Zuckung irgendwo an. Sein Bein mustert er mit derselben leisen Verachtung wie den Stuhl. Beide sind keine Verbündeten mehr. Beide widersetzen sich. Keine Feinde, aber auch keine Freunde.
    Er spürt nichts, keinen Schmerz. In ihm ist diese Leere, die er schon kennt, nur diese eine Frage: Wie komme ich wieder hoch? Gott sei Dank hat sich Sylvia verspätet. Es ist ihm lieber, keine Zeugen zu haben.
    Kaum sitzt er wieder, versucht er, die Spuren seines Sturzes zu verwischen, stellt alles gerade, rückt das verrutschte Teegeschirr zurecht. Erst als er damit fertig ist, bemerkt er, dass er vollkommen außer Atem ist.
    Es klingelt.
    Er ist froh, dass Sylvia sich erst mal lautstark über die Verkäuferin im Supermarkt aufregt, weil die sich mit dem Herausgeben so viel Zeit lasse, bis man
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