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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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ihrem Haus in Südfrankreich verbringe. Nach München komme sie eigentlich nur noch, um zu Karl zu gehen. Ein wunderbarer manueller Therapeut, eine außergewöhnliche Begabung.
    Max nickt, wie er immer nickt, wenn ihm ein außergewöhnlicher Spezialist empfohlen wird: gleichermaßen andächtig wie unverbindlich. Spätestens in einer Minute wird er den Namen vergessen haben.
    » Haben Sie es schon mal mit Reiki versucht?«, erkundigt sich die Matrone.
    » Nein, noch nie. Was ist das?«
    Er vermutet dahinter eine neue Diät, irgendetwas Asiatisches wahrscheinlich. – Weit gefehlt, erklärt sie. Eine spezielle Form des Handauflegens sei das.
    Es gelingt Max nicht, sein Grinsen hinter dem Champagnerglas zu verbergen. Handauflegen, das wäre bestimmt etwas, wie sich die Karten legen lassen, oder?
    Wieder nicht. Mit Hilfe von Handauflegen könne er pure Gesundheit in sich einströmen lassen, frohlockt sie. Erst vor ein paar Monaten habe sie ihre Ausbildung bei einem französischen Meister abgeschlossen. Man müsse schon sehr genau wissen, was man tue. Wie alle mächtigen Heilmethoden habe auch Reiki eine dunkle Seite. Allerdings nicht bei ihr, versichert sie. Sie wolle damit auch kein Geld verdienen, sondern Gutes tun. Ob er etwas dagegen habe, wenn sie ihm auf der Stelle einen Energieschub verpasse? Max starrt sie entgeistert an.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, streift sie einen Ring vom Mittelfinger und legt ihre rechte Hand auf sein Knie, wenig später die linke an seinen Hinterkopf. Dann schließt sie die Augen und murmelt etwas, ihr Kopf kreist dabei hin und her wie der einer betrunkenen Marionette. Max begegnet dem Blick eines jungen Mannes, der lässig am Flügel lehnt. Als dieser realisiert, dass Max von der älteren Dame betatscht wird, wendet er sich diskret ab.
    Drei quälend lange Minuten vergehen. Max hält die Augen nun ebenfalls geschlossen. Lauscht auf das Gemurmel um sich, dazwischen das stoßweise Atmen der Frau. Jemand hat eine neue CD eingelegt: französische Schlager aus den Siebzigern.
    » Spüren Sie schon was?«, fragt sie plötzlich.
    Er nickt, tatsächlich ist ihm heiß geworden … Mit einem zufriedenen Lächeln zieht sie ihre Hände zurück und schüttelt sie aus. Schließlich flüstert sie in sein Ohr: » Und jetzt tanzen wir!«
    Mit beiden Händen greift Max nach seinem Glas. » Ich kann nicht tanzen.«
    Sie presst die Lippen theatralisch aufeinander, seufzt und sagt: » Sie müssen es selbst wollen, gesund werden wollen! Nur Sie!«
    In dem Moment kommt einer der beiden Gastgeber auf ihn zu, um die Dame zum Buffet zu komplimentieren. Der vorher am Flügel lehnende junge Mann hat ihn alarmiert.
    Eine Anstandsstunde später verlässt Max die Wohnung mit einem Zettel in der Hosentasche. Auf den hat ihm die Reiki-Meisterin die Adresse von Karl geschrieben. Dieser würde wirklich Unglaubliches vollbringen, bestätigte sie noch einmal. Nicht ganz billig, aber eine echte Offenbarung und jede Reise wert.
    Schon recht, dachte Max, schon recht.
    An der Straßenbahnhaltestelle zieht er den Zettel heraus: » Heiler Karl – 51843218« steht darauf in steil abfallender Schrift. Plötzlich packt ihn eine ungezähmte Wut. Warum lassen sie ihn nie in Ruhe? Dauernd wollen sie ihn heilen. An ihm herum machen. Er fühlt sich benutzt. Als ob sein Körper, nur weil er nicht mehr richtig funktioniert, zum Abschuss freigegeben wäre. Das würde wieder niemand verstehen. Mit der Stimme seiner Schwester sagt etwas in ihm: Sie hat es doch nur gut gemeint – und eine andere: Jetzt wirst du aber ungerecht.
    Er hat es satt, immer gerecht sein zu müssen. Ihnen immer als Versuchskaninchen für ihre Nächstenliebe zu dienen. Warum heilen sie sich alle nicht erst mal selbst, bevor sie sich an mir vergreifen?
    Mit dem Zettel in der Hand rollt er zu dem Wartehäuschen der Straßenbahn und umrundet es auf der Suche nach einem Abfalleimer. Nach kurzem Überlegen fährt er zurück zum Fahrkartenautomat und legt den Zettel in das Fach für die ausgespuckten Fahrscheine.
    Maximilian!
    Es bringt ja nichts, sich aufzuregen, aber manchmal frage ich mich dennoch: Warum machst du das? Warum ahnst du nicht einmal, dass es bei der ganzen Aktion nur um diese Adresse ging? Die dir auch noch feierlich von einer tanzbereiten, mit Gold behängten Frau überreicht wurde. Weihrauch und Myrrhe ist nichts dagegen! Da müsste sich doch jeder, der nicht ganz blind ist, denken, dass so etwas von Bedeutung sein muss. Weshalb bezeichnest du dich als
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