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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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Nebel. Nichts erregt in ihm solche Abscheu wie Krankenhäuser. Bislang hat er erfolgreich einen Bogen darum geschlagen. Sogar in Gesprächen hat er sofort das Thema gewechselt, wenn er darauf angesprochen wurde.
    » Da draußen sind Sie in den besten Händen. In den allerbesten. Nur Wunder dürfen Sie sich keine erwarten.«
    Das Wort » Wunder« irritiert Max. Er würde es nie mit sich in Zusammenhang bringen. Höchstens dann, wenn man es so niedrig hängt, bis es eigentlich keines mehr ist: Dass er sich trotz all dem Scheiß jeden Morgen aus dem Bett quält, das könnte man als Wunder bezeichnen. Und natürlich zündet er ein Kerzlein an, wenn es in irgendeiner Wallfahrtskirche heißt, hier wären schon unzählige Wunder geschehen. Aber das war’s dann auch.
    Oft hat Max sich an solchen Orten gefragt, wie viel Wunder ein Mensch eigentlich erträgt. Was geschieht mit denen, denen eines widerfahren ist? Wie konnten die von Jesus Geheilten damit überhaupt einen Tag weiterleben? Was empfand der vormals Gelähmte, als drei Jahre später eine Arthrose im linken Knie einsetzte? Wie oft konnte man vom Tode auferstehen?
    Größtes Mitleid hat Max mit der Nonne, die beim Tod Johannes Pauls II . von der Parkinson-Krankheit geheilt wurde. Jedes Zittern der Hände müsste doch eine Qual sein. Sie könnte sich ja bei einer Rückkehr der Symptome nicht einmal umbringen, ohne dass es auf den Seliggesprochenen zurückfiele. Was für eine Last, so ein Wunder im Gepäck!
    So einfach ist es eben nicht. Ein Gelähmter steht nicht ohne Weiteres auf, nimmt seine Bahre und geht davon. Nicht, wenn er im ganzen Dorf als der Gelähmte bekannt ist. Dann macht man so etwas nicht, wenn man weiterhin ernst genommen werden möchte.
    Je länger Max darüber grübelt, desto sicherer ist er sich: Er will in keinem Wunder vorkommen. Das wird ihm zwar wieder niemand abnehmen, aber dennoch.
    Fast niemand.
    Am nächsten Nachmittag sitzt er einer gut gelaunten Verwaltungsangestellten gegenüber, um sich anzumelden. Zu seiner Beruhigung sieht ihr Büro aus wie das in einer Behörde: Topfpflanzen, eine bunte Plastikgießkanne, eine abgedeckte Schreibmaschine. Sie hält ihm diverse Blätter hin, er unterschreibt alle an der angekreuzten Stelle, ohne sie durchzulesen. Das letzte Blatt wenigstens solle er sich anschauen, bittet sie. Die Termine für seine Untersuchungen am nächsten Tag. Zehn Minuten hätte er sich vor dem jeweiligen Zimmer einzufinden. Pünktlich.
    Man quartiert ihn bei einem früh verrenteten Beamten ein. Max bekommt das Bett an der Wand. Seine Schwester, plötzlich wieder in jeder Geste Kinderpflegerin, räumt seine Sachen in den Spind.
    Kaum ist sie draußen, seufzt sein Zimmergenosse auf und klingelt. Ein Pfleger kommt und begleitet ihn auf die Toilette. Max ist überrumpelt. Nicht einmal der Anschein von Privatsphäre wird aufrechterhalten: Die Badezimmertür bleibt offen.
    Andächtig arrangiert er seine Habseligkeiten auf dem rollbaren Kasten neben seinem Bett. Die DVD s, den iPod, sein Notizbuch, wie ein kleiner Altar. Als er sich darin wiedererkennt, geht es ihm besser.
    Bis zum Abendessen hat er noch eine Stunde. Er rollt durch die Gänge. Die Bilder an den Wänden wirken, als hätten sie sich mit ihrer eigenen Hässlichkeit abgefunden. Ihre einzige Funktion scheint zu sein, für Orientierung auf den sonst völlig identischen Fluren zu sorgen. Aus Mitleid sieht er sich einige genauer an: schief auf das Passepartout geklebte Drucke, lustlose Aquarelle längst vergangener Sonnenuntergänge. Selbst die Sonnenstrahlen wirken blass.
    Die Raucher haben sich vor der Glastür zum Park zusammengerottet. Sie machen einen zufriedenen Eindruck. Max stellt sich ein paar Meter daneben. Ihre Gespräche kreisen um die Krankheit, um Prognosen und Medikamente. Es klingt wie bei Motorradfahrern, die sich liebevoll über die Macken ihrer Maschinen austauschen.
    Beim Abendessen in einem von Neonröhren erleuchteten Raum wird geschwiegen. Die Stimmung erinnert Max an die in einem Benediktiner-Kloster. Selbst die Bitten um den Salzstreuer oder die Thermoskanne mit lauwarmem Tee werden weniger artikuliert als gedeutet. Die Stille unterbricht ein zu spät kommender Raucher, indem er an jedem Tisch die übrig gebliebenen Salamischeiben erbettelt. Ohne ein Kilo Fleisch am Tag würde er nicht überleben, erklärt er lauthals.
    Zum ersten Mal sieht Max in einem Raum das ganze Elend seiner Krankheit versammelt: von den schief Hinaushinkenden bis zu der Frau,
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