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0207 - Der Steinriese erwacht

0207 - Der Steinriese erwacht

Titel: 0207 - Der Steinriese erwacht
Autoren: Rolf Michael
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Die Frau, die den Hügel hinabradelte, mochte die Fünfzig leicht überschritten haben. Graue Strähnen im sonst braunen Haar zeugten von einem Leben, daß mit Arbeit nur so angefüllt war.
    Das Gesicht Marty Sumersets hatte nicht mehr die Attraktivität einer jungen Dame, aber es lag eine Art innerer Adel darin. Der Adel des Bauern, der seine eigene Scholle bebaut und der stolz auf den Ertrag ist, den die Arbeit seiner Hände bringt. Die schmucklose Kleidung, eine buntkarierte Bluse und ein bis über die Knie fallender Rock, der ehedem einmal blau gewesen sein mußte, ließen erkennen, daß es sich hier um eine Farmerin handelte.
    Leicht den Rücktritt betätigend, fuhr sie die Windungen der Straße hinab. Noch ungefähr zwei Meilen, dann war sie zu Hause. Und das war gut so, denn schon verlor die sinkende Sonne ihren Glanz. Rotglühend wie ein Ball aus flüssigem Feuer schickte sie sich an, hinter den westlichen Hügeln zu versinken.
    Dann war es hier draußen nicht mehr geheuer.
    Marty Sumerset war eine resolute Frau, die nicht nur die Farm, sondern auch Jonathan, ihren Ehemann fest im Griff hatte. Und die selbst einen ausgewachsenen Bullen an seinem Nasenring dorthin zog, wo sie ihn hinhaben wollte.
    Aber bei Dunkelheit durch die Hügel zu fahren, hätte sie doch nicht gewagt. Zu sehr ist der Glaube an das Unnatürliche in den Gemütern der Bewohner von Südenglands grünen Fluren verwachsen. Hier regieren nicht nur die Gespenster, die in verfallenen Schlössern oder uralten Gemäuern ihr Wesen treiben, durch das gesamte Denken zieht sich die Furcht vor denen, die in den Hügeln hausen; die unsichtbar neben dem Menschen in Wäldern und Hainen einhergehen und die über mondumglitzerten Lichtungen schweben.
    Und man fürchtet die, deren Wohnung in den Tiefen der Gewässer liegt. Denn wahllos, wie zum Spiel, greifen sie nach dem Menschen, der sich ahnungslos ihrem nassen Element anvertraut und ziehen ihn zu sich herab.
    Marty Sumerset versuchte, diese aufkeimenden Gedanken zu vertreiben. Noch schien die Sonne, noch war heller Tag und daher eine Zeit, wo das Grauen aus dem Irgendwo noch nicht seine volle Macht entfalten konnte. Und die Stelle, die wirklich von der ganzen Gegend gefürchtet wurde und die man nach Einbruch der Dämmerung mied wie die Pest, lag bereits hinter ihr.
    Eine alte Hügelfestung, entstanden in den Tagen, da der Mensch noch mit Waffen aus Stein den Kampf ums Dasein führte.
    Und hier sollte es tatsächlich spuken. Einheimische versichern, daß selbst nüchtern denkende, moderne Menschen nicht zu Nachtzeiten die Hügelstraße hinter Powerstoke, einem idyllischen Dorf in der Nähe von Brideport, benutzen. Plötzlich fallender Nebel, streikende Automotoren und Stimmen von da und dort treiben die Angst der Menschen zum Siedepunkt.
    Die Toten lassen sich nicht herausfordern. Und sie lassen nicht zu, daß man ihrer spottet.
    Aber keiner von denen, die unter dem grünen Rasen den Schlaf der Ewigkeit schlafen, sperrte Marty Sumersets Weg.
    Es schien, als sollte alles glatt gehen. Geistig sah die Farmersfrau schon die gemütliche Wohnstube vor sich, wo sie, nachdem das Vieh gefüttert war, sich etwas zum Stricken nehmen und dabei versonnen den lustig auf- und ab springenden Flämmchen im Kamin zusehen würde, während Jonathan aus der Times die neuesten Nachrichten aus der großen Welt mit trockenem, englischem Humor kommentierte.
    Ein Abend, wie jeder andere auch.
    Marty Sumerset konnte nicht ahnen, daß dieser Abend nie stattfinden würde.
    ***
    Die hochgewachsene Gestalt auf dem Hügel wurde vom Glanz des Mondes umflossen, als läge sie auf einer Silberscheibe.
    Wie Milliarden funkelnde Diamanten glitzerten die Sterne herab. Die Nacht lag wie ein schwarzblauer Samtmantel über dem Land. Kein Lüftchen regte sich.
    Die Natur schlief. - Oder sie hielt den Atem an.
    Einer, der die Szenerie von weitem beobachtet hätte, er hätte sicherlich an einen Spuk der Hügel geglaubt. Denn es war nicht genau auszumachen, ob das, was hier die Arme zum Himmel hob, wirklich ein Mensch war.
    Alles an der Gestalt war so unnatürlich - so fremd - wollte weder in diese Landschaft noch in diesen Kulturkreis passen.
    Zwar wies das lange, in bauschige Falten gelegte Gewand und der goldblitzende Schmuck einen auf einen Druiden hin, der hier auf dem Gipfel des Hügels die Kräfte verehrt, aber die Farbe eines Druidengewandes ist weiß. Und das, was die Gestalt des Mannes auf dem Hügel in faltigem Bogen umfloß, konnte bei
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