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Mein Name ist Afra (German Edition)

Mein Name ist Afra (German Edition)

Titel: Mein Name ist Afra (German Edition)
Autoren: Angela Dopfer-Werner
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ließ in das seidige Wasser, dachte es über den Vorfall von damals nach, und das Mädchen fragte sich, welche Sünde wohl so schlimm sein könnte, daß ein Mensch derart dafür bestraft wurde. Bei dem Gedanken an Sünde fiel ihr der große, geflochtene Weidenkorb ein, den sie achtlos ans Ufer geworfen hatte, als sie ihr Spiel mit dem Wasser begann. Er war leer, und schuldbewußt zuckte sie zusammen, als laute Rufe aus dem Birkenwald sich näherten. Geschwind sprang das Mädchen auf, packte den Korb und rannte barfuß ins nahe Wäldchen. Eilig suchten ihre Augen dort den weichen Moosboden und dichte Sträucher ab, denn ihre Aufgabe war es gewesen, allerlei Beeren und Pilze zu sammeln und nach Hause mitzubringen, vor allem die süßen, schwarzen Heidberis, aus denen die Frauen des Dorfes Heilmittel oder Most herstellten. Statt dessen hatte sie die Zeit müßig am See verbracht und über ihren Gedanken die Arbeit vergessen.
    Zu spät war es jetzt, den Korb doch noch zu füllen, so sehr das kleine Mädchen auch suchte, Beeren fand sie i n dieser kurzen Zeit nicht. Als sie am Boden kniete und einen dichten Zweig zur Seite schob, um darunter zu schauen, packte sie plötzlich jemand mit eisenhartem Griff, riß sie hoch und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Blut schoß aus der Nase des Mädchens hervor, die Augenbraue platzte auf, die Wucht des Schlages schleuderte das Kind auf den Waldboden. Doch kein Schmerzenslaut kam über ihre Lippen, mit großen Augen schaute sie ihren Peiniger nur an.

Afra
     
    Meine Geschichte beginnt im Herbst des Jahres 939, als ich in meiner bis dahin sorglosen und heiteren Kindheit zum ersten Mal erfuhr, daß es Neid, Eifersucht und sogar Haß unter den Menschen gab, die mir von Geburt an vertraut waren. Damals zählte ich acht Lebensjahre, die ich nur in unserem kleinen Dorf mit seinen paar Häusern verbracht hatte, und ich fühlte mich immer sicher und geborgen in meiner Heimat und kann mich nicht erinnern, je etwas Böses erlebt zu haben.
    Unser kleiner Weiler besteht aus dem mächtigen Meierhof mit seinen Scheunen, Vorratshäusern, dem Badhaus, der Schmiede und den Grubenkellern, ein hoher, zugespitzter Holzzaun mit zwei großen Toren umgibt das ganze Anwesen zu seinem Schutz, dichte Dornenhecken wachsen an allen Zäunen und Wällen. Dann sind da noch fünf etwas kleinere Höfe, auf denen Hörige leben, die an den Graf aus Altdorf genau wie meine Familie Abgaben zahlen müssen und ihm verschiedeneDienste leisten, und ein paar einfache Hütten als Unterkünfte für die unbehausten Leute und ihre Kinder. Wieviel Menschen wir damals waren, kann ich nicht mehr genau sagen, aber es werden mit den kleinen Kindern wohl so an die fünfzig oder sechzig gewesen sein. Mein Vater Wezilo war der Meier des Ortes, ein freier Mann, der den Hof bewirtschaftete und der Grafenfamilie ein treuer Gefolgsmann war, verantwortlich für alles, was sich im Gau ereignete. Mit ihm und meiner Mutter Rautgund, meiner Schwester Walburc, unserer Großmutter Ella und einigen Knechten und Mägden lebte ich auf dem großen Hof. Unser Dorf wird Pitengouua genannt, und es liegt drei Tagesmärsche oder einen scharfen Ritt von Sonnenaufgang bis zur Nacht südöstlich der altrömischen Stadt Augusburc zwischen den wilden Gebirgsflüssen Lecha und Ambra, in einem fruchtbaren Tal an einem Bach, den wir Pitenach nennen, umgeben von hohen Wäldern und dunklen Mooren.
    Es war ein herrlicher Spätsommertag, voll Licht und Sonne und warmer Luft, und wir waren sehr früh am Morgen aufgebrochen, um das letzte Heu dieses Jahres von der Lindenau, einer großen Wiese weitab vom Dorf, trocken und sicher in die Heuschober einzubringen. Drei Holzwagen mit je zwei Ochsen davor und ihrem Treiber zur Seite, mehrere Frauen und Mädchen mit Tüchern und Strohhüten auf dem Kopf und hölzernen Rechen in den Händen, vier Graserinnen mit hohen, aus Weidenruten geflochtenen Körben auf dem Rücken, und über den Köpfen dieser ganzen Menschenschar mein Vater Wezilo, ruhig und sicher auf seinem Arbeitspferd, einem dickem, gutmütigen Schecken, so zogen wir los.
    Vom Meierhof, meinem Zuhause, direkt an der breiten Furt der Pitenach gelegen, brachen wir auf, voran die Ochsenkarren und dann die lachenden und plaudernden Frauen, am kühlen Morgen noch kein bißchen müde und froh über die Gelegenheit, einen ausgiebigen Schwatz zu halten. Der holprige Weg führte zuerst immer den wilden, über Steine springenden und sich lebhaft schlängelnden Bach
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