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Mein Name ist Afra (German Edition)

Mein Name ist Afra (German Edition)

Titel: Mein Name ist Afra (German Edition)
Autoren: Angela Dopfer-Werner
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wir wetteiferten in der Herstellung von einfachen Stirnbändern. Diese einzige Zierde des Leichnams war eine Arbeit von mir, ich erkannte es an dem schwarzen, schmalen Streifen in der Mitte des Bandes. Es kleidete sie gut, im Leben wie im Tod brachte es ihre hohe Stirn und die dichten, sanft geschwungenen Augenbrauen über den nun für immer geschlossenen Augen zur Geltung.
    Wie eine unfreie Magd wurde Richlint bestattet, niemand, der sie so liegen sah, hätte etwas Besonderes in ihr vermutet. Nichts Wertvolles, nichts Außergewöhnliches trug sie bei sich, nur ihre schönen, hohen Schaftstiefel kündeten von einer Zeit, als sie noch lachte und lebte und liebte. Weder Justina noch ich waren auf den Gedanken gekommen, ihr die Langschäfter nach dem Tod wieder auszuziehen, mit denen sie vom Kindbett heraus zu ihrem Geliebten wollte, um ihn zu retten, obwohl sie so schwach war, daß sie nicht einmal alleine stehen konnte. Wir wußten, daß es zu spät für die beiden war, daß der Mann mit gespaltenem Schädel erschlagen im Fluss trieb und keine noch so große Liebe ihn mehr retten konnte. Aber diese Stiefel gehörten zu ihr ins Grab, sie waren doch für keinen von uns zu gebrauchen, zu auffällig waren sie und viel zu schön für einfache bairische Leute aus einem kleinen Weiler wie uns. Ein Geschenk ihres Geliebten und ein wertvoller Besitz waren diese Schuhe, aber auch für das Kind der beiden konnten wir sie nicht als Erinnerung an Mutter und Vater bewahren, denn wenn die Leute des Königs die fremdartigen Stiefel bei uns gefunden hätten, wären wir alle unter Verdacht und in Lebensgefahr geraten. So trug meine Richlint die hellen, weichen Stiefel aus Ziegenleder bei ihrem Tod und auch auf dem Weg zum Grab.
    Mein letzter Blick auf die Freundin war nur kurz, denn schon standen die Männer ungeduldig bereit, den Sarg mit massiven Brettern zu verschließen. Mit einem Hohleisen schlugen sie Löcher in den Deckel und verschlossen ihn mit langen, vierkantigen Dübeln aus Holz, und dann trugen sie die schwere Kiste auf ihren Schultern aus der Hütte und luden sie auf einen alten Karren, der vor der Tür bereit stand und vor den ein zottiges, braunes Pferd gespannt war. Ohne einen Gruß oder Blick an die Zurückbleibenden schlugen die vier Männer in der kalten Morgenluft ihre langen Wollumhänge um sich und gingen eilig los, den Wagen mit dem Totenschrein in ihrer Mitte, schweigend und mit niedergeschlagenen Augen.   
    Das war das Letzte, was ich von Richlint sah, das letzte Mal, daß je von ihr gesprochen wurde. Von diesem grauen, stillen Morgen an war es, als ob es sie nie gegeben hätte, als ob sie nie unter uns und mit uns im Dorf gelebt hätte, als ob sie nicht in Pitengouua aufgewachsen wäre und Jahre voll Freud und Leid mit uns allen geteilt hätte.
    Meine beste, meine einzige Freundin war nicht mehr vorhanden. Mein restliches Leben lang habe ich es still und schweigend hingenommen, habe ihr Kind aufgezogen wie meine eigenen, habe jeden Gedanken an Richlint und die Erinnerung an unser gemeinsames Leben beiseite geschoben und versucht, die Vergangenheit zu vergessen. Fromm bin ich geworden, frommer und gläubiger als meine  Mutter Rautgund vor mir, eine gute Tochter der Heiligen Kirche, eine Frau voller Demut und Hingabe an ihre Aufgaben. Ich habe versucht, Gutes zu tun, wo immer ich konnte, Arme zu beschenken, Kinder zu trösten, Alte und Kranke zu pflegen und zu heilen. Ich habe gearbeitet, jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, habe alle meine Pflichten als Hausfrau, Bäuerin und Mutter sorgsam erfüllt. Meinem Mann war ich eine gute, gehorsame Ehefrau ohne Ansprüche, nie habe ich geklagt wie viele andere, wenn seine Treuepflichten für den Herzog oder den Kaiser ihn Monate oder sogar Jahre von meiner Seite nahmen.
    Jeden Tag lag ich auf Knien vor dem Altar in unserer kleinen Holzkirche und bat um Vergebung für meine große Sünde, und ich flehte aus tiefstem Herzen bei Gott und allen Heiligen um Gnade und das Ewige Leben für die Seele meiner toten Freundin. Einmal in jedem Jahr, solange es mir meine Gesundheit erlaubte, habe ich zu Fuß eine Wallfahrt nach Augusburc zum Grab meiner Namenspatronin, der heiligen Afra, gemacht und dort habe ich dann tagelang gefastet und gebetet und für meine Sünden gebüßt. So verbrachte ich den Rest meines irdischen Lebens auf dieser Welt, damit es später nur Gutes über mich zu berichten gäbe.
    Mein Name ist Afra, und nach vielen, langen Tagen und Nächten
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