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Rosenwahn

Titel: Rosenwahn
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Rosa alba
    Dieser Duft … Brigitte lehnte sich weit über den Gartenzaun, schloss die Augen und sog die köstlichen Aromen, die zu ihr herüberströmten, langsam und konzentriert durch die Nase ein. Bilder tauchten vor ihr auf. Sie reiste auf dieser duftenden Wolke weit zurück in die Vergangenheit, in einen blühenden Garten, von Sonnenlicht durchflutet, eine Decke auf dem Rasen unter den Rosenbüschen, darauf ein junges Mädchen und ein junger Mann. Die beiden halten sich fest, sie küssen sich, sie lieben sich, umgeben von einem zartrosa Blütentraum, umfangen von einem unvergleichlichen Wohlgeruch.
    »Moin, Frau Kalbe, passen Se man auf, dat Se nich noch in die Brennnesseln kippen!«
    »Herr Politza!« Erschrocken fuhr Brigitte herum. »Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen klingeln, wenn Sie aufs Grundstück kommen?«
    Auch wenn er ihre Gedanken sicher nicht erraten konnte, war es ihr trotzdem peinlich, ausgerechnet von Politza aus ihren romantischen Rosenträumen gerissen zu werden.
    »Sie hören dat doch sowieso nich.«
    Politza zuckte nur ungerührt mit den Schultern und kraulte den Hund, der freudig auf ihn zugestürzt war, mit einer Hand hinter den Ohren. Brigitte überging seine Antwort. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren, das wusste sie inzwischen. Also schluckte sie ihren Ärger hinunter. Sie brauchte Politza. Von ihrer Rente, die sie für ziemlich knapp bemessen hielt, für das, was sie von diesen grässlichen Kindern in der Schule jahrelang hatte erdulden müssen, konnte sie sich keinen anderen oder besseren Helfer für Haus und Garten leisten. Also lebte sie mit Politzas Unzuverlässigkeit, seiner Unverschämtheit und der Alkoholfahne, die er hin und wieder schon am Vormittag ausatmete.

     
    Kurz nach fünf am Nachmittag hatte Politza die Arbeit eingestellt und seinen Lohn gefordert, obwohl noch lange nicht alle Aufgaben erledigt waren, die auf Brigittes Liste notiert waren, und schon gar nicht das ganz besondere Projekt, das sie für heute geplant hatte.
    »Hab ’nen wichtigen Termin«, hatte Politza entgegnet, als sie protestieren wollte. Sie konnte sich schon denken, was das für ein Termin war. Im ›Pik As Treff‹ am Bahnhof warteten sie wahrscheinlich schon auf ihn und eine erste Lokalrunde.
    »Und wann kümmern Sie sich um die Rosen im Vorgarten? Da müssen die Wildtriebe geschnitten werden, und dann sollen Sie auch noch die Obstbäume mulchen und …«
    »Man ganz sutsche! Dat kriegen wir alns gebacken, Frau Kalbe. Sie kennen mich doch.«
    »Wie sieht’s denn aus mit nächster Woche, Herr Politza?«, hatte Brigitte fast ängstlich gefragt, die ihn nur zu gut kannte und sich über ihre hilflose Abhängigkeit von der Unterstützung dieses unerträglichen Menschen ärgerte.
    »Gut sieht dat aus. Ich melde mich.«
    Zur Bestätigung hatte Politza auf das Handy in seiner Hosentasche geklopft und war verschwunden.

     
    Seufzend setzte sich Brigitte auf die Bank auf der Terrasse. Der Hund legte sich neben sie und sah sie erwartungsvoll an.
    »Ach Alma. Wir sind schon zwei arme, alte Mädchen, was?«
    Als Antwort wedelte Alma mit dem Schwanz. Brigitte streichelte mechanisch über den Kopf des Hundes und dachte wieder an ihr Vorhaben. Dann musste sie es eben allein machen. Wenn sie es recht bedachte, war ihr Politza als Mitwisser eh nicht recht. Wer weiß, welche Schlüsse er gezogen und was er sich dann noch alles herausgenommen hätte, bei seinem ohnehin schon reichlich respektlosen Verhalten ihr gegenüber. Sie begann zu überlegen, wie sie vorgehen wollte. Auf jeden Fall musste sie noch abwarten, bis die Helligkeit etwas nachgelassen hatte. Zwar war ihr Grundstück das vorletzte am Uferweg des kleinen Sees am Rande von Eutin, doch bei diesem Wetter waren auch spätabends häufig noch Radfahrer und Jogger unterwegs, und gesehen werden wollte sie bei ihrer Aktion auf keinen Fall. Aber sie konnte schon einmal das notwendige Gerät herrichten. Brigitte erhob sich und ging, gefolgt von Alma, über den Rasen zum Geräteschuppen. Bald darauf stand die Schubkarre bereit, darin lagen ein Spaten, ein Stück Plastikfolie, Schnur, eine Gartenschere und ein paar Arbeitshandschuhe.
    »Jetzt gibt’s erst einmal Abendbrot.«
    Alma schien jedes Wort ihres Frauchens zu verstehen, denn sie bellte erfreut und sprang in großen Sätzen voraus zur Treppe, die von der Terrasse hinauf in die Küche führte. Je älter er wurde, desto verfressener wurde der Hund, ganz anders als Brigitte, die das
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