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0657 - Der letzte Henker

0657 - Der letzte Henker

Titel: 0657 - Der letzte Henker
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Jetzt war es Lucie Brenshaw, die gellend aufschrie. Unwillkürlich machte sie einen Sprung zurück, fort von diesem makabren Gebilde. Die Blumen, die sie bereits gepflückt hatte, ließ sie fallen. Übelkeit wollte in ihr aufsteigen, und sie redete sich ein:
    »Es ist nicht echt… es kann nicht echt sein… da macht sich jemand einen dummen Scherz mit mir…«
    Zögernd sah sie sich um, versuchte den selbsternannten Witzbold irgendwo zu erkennen, der sich diesen bösen Spaß mit ihr gemacht hatte und das sicher auch noch unheimlich witzig und cool fand. Aber sie war allein. Ein paar hundert Meter weiter begann die verbrannte Wildnis, in der vor wenigen Wochen noch das Feuer getobt hatte. Es hatte lange gedauert, es wieder unter Kontrolle zu bekommen, und es würde noch lange dauern, bis die Schäden wieder behoben waren. Schäden an Straßen, an Häusern, an allem, was der mörderischen Feuerwalze im Wege gestanden hatte. -Die Schäden an der Natur heilten sich selbst. Asche war der beste Dünger. Es grünte und blühte bereits wieder überall. Mit einer unwahrscheinlichen Vitalität eroberte sich die Natur zurück, was das Feuer ihr hatte nehmen wollen.
    Das Haus, in das Lucie und Rick vor kurzem eingezogen waren, befand sich unmittelbar am Rand der Brandzone. Es war in Mitleidenschaft gezogen worden, aber sie waren beide dabei, zumindest den Teil, den sie bewohnten, wieder vernünftig herzurichten.
    Rick arbeitete in der Baukolonne, die am Interstate-Highway 75 arbeitete, um den wieder hundertprozentig in Schuß zu bringen. Diese auch als »Alligator Alley« bekannte Fernstraße, die den Süden Floridas von Ost nach West durchquerte, diente dem Tourismus und hatte daher Vorrang. Hinzu kam, daß es sich um eine mautpflichtige Strecke handelte, von privaten Firmen unterhalten -und die sorgten schon eher dafür, daß etwas geschah, als die Regierung des Bundesstaates, die wie überall in der Welt an chronischem Geldmangel litt, wenn es nicht gerade um Einkommenserhöhungen der Regierungsmitglieder ging.
    Vor ein paar Wochen war Rick noch arbeitslos gewesen. Jetzt gehörte er zu dem Bautrupp. Aber für wie lange? Wann würde es wieder vorbei sein mit dem. Geldverdienen? Lucie war nahe daran, sich schon die nächste Katastrophe zu wünschen…
    Damit Rick seinen Job behielt Rick O’Cann, dessen Vorfahren vor über 200 Jahren aus Irland gekommen waren, der aber so gar nichts von einem Iren an sich hatte! Rick war strohblond, anpassungsfähig, zärtlich und nicht unbedingt darauf versessen, sich mit Guinness und Whisky vollzudröhnen. Und er verabscheute irische Volksmusik, die er für antiquiert und stupide und schrill hielt, und hörte statt dessen lieber Opern, Jazz’ und Techno. Und nun lag dieser Kopf vor ihr. Sein Kopf!
    War er es wirklich? Sie überwand Abscheu und Ekel, näherte sich dem grausigen Gebilde, das in einer kleinen Blutlache lag und eine Spur von dunkelroten Spritzern auf seinem Weg aus dem Gebüsch heraus hinterlassen hatte.
    Das war eindeutig Ricks Kopf. Sie kannte ihn nur zu gut, hatte ihn genug berührt und geküsst und gestreichelt und sein Blondhaar zerwuschelt. Und jetzt starrten seine Augen sie voller Entsetzen und Angst an, war der Mund aufgerissen zu dem Schrei, den sie gehört hatte… Rick O’Cann tot? Lucie sprang wieder auf. Stürmte vorwärts. Ihr Verstand sagte ihr, daß es Irrsinn war, was sie tat, daß sie sich nur selbst in Gefahr brachte. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste vorwärts stürmen, musste feststellen, woher Ricks Kopf gekommen war.
    Aber hinter dem Gebüsch verbarg sich niemand.
    Da war nur die verbrannte Landschaft, in der wieder erstes pflanzliches Leben entstanden war.
    Nicht einmal Ricks Körper war zu finden.
    Hatte man Lucie doch düpiert? Ihr ein künstliches Gebilde vorgeworfen?
    Sie berührte es - und zuckte erneut mit einem Schrei zurück.
    Der Kopf war echt. Warm. Und auch das Blut, von dem noch einmal ein kleiner Rest verströmte, war echt.
    Rick O’Cann war ermordet worden.
    »Von wem?« schrie Lucie auf. »Warum? WARUM«
    Aber wer sollte ihr darauf eine Antwort geben?
    ***
    Sheriff Jeronimo Bancroft, vor ein paar Monaten zum dritten Mal in Folge als oberster Gesetzeshüter des Dade-County gewählt, konnte keine Antwort geben. Bancroft ließ die Umgebung nach Spuren untersuchen. Gefunden wurde nicht viel; nicht einmal die Leiche. Dafür aber Abdrücke von Stiefeln und Schleifspuren, die an einer ganz bestimmten Stelle jäh abrissen. Und an dieser
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