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Des Sieges bittere Tränen

Des Sieges bittere Tränen

Titel: Des Sieges bittere Tränen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Zigeuner sind da …
    Die Lagerfeuer loderten, Holzkloben prasselten in den Flammen, der Wind trieb die Funken hoch in den Nachthimmel, es roch nach gebratenem Fleisch, verschwitzten Kleidern und nach fremdem, romantischem Abenteuer.
    Zigeuner waren ins Dorf gekommen. Zehn blitzende große Wagen mit Wohnanhängern, geräumig wie kleine Bungalows. Langsam waren sie am Vormittag durch die stille Dorfstraße von Barsfeld gezogen, bestaunt von den Kindern, argwöhnisch beobachtet von den Bauersfrauen, die sofort ihre auf den Leinen hängende Wäsche ins Haus holten.
    Aber sie kamen nicht unangemeldet, die Zigeuner. Ein ›Quartiermacher‹ war am Tag vorher in Barsfeld gewesen und hatte um Erlaubnis nachgesucht, zwei Tage irgendwo mit seiner Sippe rasten und einen Kinderzirkus vorführen zu dürfen.
    »Haben wir gutes Pferd«, sagte der dunkel gelockte Mann mit dem wetterbraunen zerfurchten Gesicht. Er trug einen eleganten Maßanzug, italienische Schuhe, einen französischen Schlips und einen englischen Hut. Zigeuner kommen heute nicht mehr in Lumpen, wie man sie aus Operetten oder Klischeefilmen kennt … sie sind Handelsleute, besitzen einen Wandergewerbeschein und zahlen Steuern – auf die letztere Feststellung legen sie besonderen Wert. So blätterte auch der abenteuerlich aussehende Mann dem Bürgermeister von Barsfeld seine Papiere auf den Tisch: Paß, Sozialversicherungskarte, Gewerbeschein als Zirkusunternehmer und Textilvertreter, letzte Abmeldung von der Behörde in Ebbenrode, das lag vierzig Kilometer nördlich von Barsfeld. Sogar ein Brief des Bischofs von Paderborn war dabei, in dem dieser bestätigte, daß die Sippe Zugan Kaiman eine im Glauben an Christus gefestigte kleine Gemeinde sei.
    Das gab den Ausschlag. Der Bürgermeister von Barsfeld wies den Zigeunern ein gemeindeeigenes Wiesenstück am Flüßchen Bars zu. Ortspolizist Jens Bisterfeld erhielt den Auftrag, für Ordnung zu sorgen.
    Nun waren sie da – eine Karawane von teuren Autos und Wohnwagen. Eine Demonstration der Geschäftstüchtigkeit. »Wie bei 'ner Versammlung von Industriebossen«, sagte der Bauer Rumpfe, der mit seinem Trecker um das Zigeunerlager herumgekreist war und den Barsfeldern die ersten Nachrichten brachte. »Sitzen da wie die dicken Wilhelms, verrückt, sage ich euch. Anzüge wie aus 'nem Neckermannkatalog und dann ein Lagerfeuer wie im Mittelalter.« Und unter der Hand, augenzwinkernd: »Und schicke Weiber heben se dabei. So schwarzgelockte, wißt ihr … mit Feuer im Hintern.« Er lachte glucksend, rieb sich die Handflächen an der Hose ab und trank noch einen Schnaps. In der Schankstube von Gasthof und Hotel ›Zur Eiche‹, der einzigen Wirtschaft von Barsfeld, verbreitete sich Spannung. Was hatte Barsfeld schon zu bieten? Saftige Weiden, eine Ziegelei, einen guten Wald, Rehwild und H.H.
    Dieses H.H. bedeutete Horst Hartung. Er war das Renommierstück von Barsfeld, die einzige Verbindung zur großen, weiten Welt, denn Hartung besaß nicht nur ein Mustergut – nicht groß, aber gepflegt wie ein Schmuckkästchen –, eine kleine Pferdezucht und eine Reitschule, sondern er war auch ein international bekannter Turnierreiter. Immer, wenn irgendwo ein Preisspringen stattfand und das Fernsehen den Kampf um Hindernishöhe und Sekunden übertrug, saß Barsfeld vor dem Bildschirm und starrte auf seinen Bürger Horst Hartung. Gewann er, trank man auf sein Wohl, verlor er, überschüttete man ihn mit bitterer Kritik. Man sieht – Barsfeld kann überall liegen. Seine Einwohner sind so wie alle Menschen.
    Das war aber auch alles, was der kleine Ort zu bieten hatte. Das große Leben floß an ihm vorbei wie ein ferner Strom, die Politik endete im Gemeinderat, und außer hin und wieder einem Sterbefall gab es wenig Abwechslung im täglichen Einerlei.
    Nun aber waren Zigeuner gekommen. Hübsche schwarzgelockte Frauen, Männer, die völlig frei und ungebunden wirkten – eine Karawane aus dem Morgenland gewissermaßen. Sie bauten ihre chromblitzenden Autos wie eine Wagenburg auf – die Barsfelder kannten das vom Fernsehen, so machten es die Trecks im Wilden Westen auch, aus den Wohnwagen erklang Radiomusik, ein kleines Zeltdach wurde hochgezogen; es erinnerte an einen Zirkus, dessen Romantik immer mehr stirbt, vier Pferde wieherten an den Pflöcken, der Bauer Muckemann lieferte Strohballen und eine große Schütte Heu, hielt sofort die Hand auf und bekam auch sofort sein Geld. Und dann wurde es Abend, die Lagerfeuer loderten auf, die
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