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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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Dieter Schwarzenau, immer noch dort tätig, und Johannes Willms, längst schon Feuilletonchef der »Süddeutschen Zeitung«. Die Herren tranken Tee und tranken Schnaps und waren in guter Laune. Es dauerte lange, bis sie, vielleicht vom Alkohol ermutigt, endlich mit der Sprache herausrückten. Ob ich Lust hätte, für das ZDF eine regelmäßige Literatursendung zu machen? Ich sagte mit Entschiedenheit: Nein. Aber die Herren überhörten meine Antwort, geflissentlich. Hingegen wollten sie wissen, ob und wie ich mir eine solche Sendung vorstelle. Ich dachte mir: Ich werde verschiedene Bedingungen stellen, bis die Herren resigniert aufgeben.
    Es solle, sagte ich provozierend, jede Sendung mindestens sechzig Minuten dauern, besser 75. Teilnehmen sollten, von mir abgesehen, nur noch drei Personen, auf keinen Fall mehr. Ich müsse zwei Funktionen ausüben, also Gesprächsleiter sein und zugleich einer der vier Diskutanten. Die beiden Herren waren nicht aus der Ruhe zu bringen, ja, sie nickten zustimmend.
    Wenn ich das überflüssige Gespräch beenden wollte, dann mußte ich jetzt ein besonders schweres Geschütz auffahren: In dieser Sendung, sagte ich, dürfe es keinerlei Bild- oder Filmeinblendungen geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus Romanen, keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder, in einem Park spazierengehend, diese Werke gütig erklärten. Auf dem Bildschirm sollten ausschließlich jene vier Personen zu sehen sein, die sich über Bücher äußern und, wie zu erwarten, auch streiten würden. Nur wer das Fernsehen kennt, weiß, was die beiden Herren gelitten haben. Denn das oberste, das heilige Gesetz des Fernsehens ist die fortwährende Dominanz des Visuellen. Ich habe es gewagt, gegen dieses Gesetz munter zu rebellieren. Es war klar: Dies würden die liebenswürdigen Herren nicht mehr schlucken. Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion: Werden sie erblassen oder gleich ohnmächtig werden? Aber es kam anders. Die Herren Schwarzenau und Willms atmeten durch die Nase tief ein, tranken noch einen Schnaps und erklärten leise: »Einverstanden.«
    In den frühen Jahren des Fernsehens war in den Zeitungen gelegentlich von der »ewigen Fehde« zwischen dem Bildschirm und dem Buch die Rede, das Fernsehen sei »der geschworene Feind des Buches«. Gegen diese These habe ich mehrfach protestiert, unter anderem 1961 in der »Welt«, von dieser Fehde wollte ich nichts wissen. Ich forderte vielmehr ein Bündnis und war sicher, daß es für beide Seiten nützlich sein könne. Während des Gesprächs mit den Herren vom ZDF fragte ich mich insgeheim, ob in dem überraschenden Angebot vielleicht, wenn auch aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, eine Chance verborgen sei – die Chance, etwas für die Literatur zu tun, zumal für ihre Verbreitung. Einen Versuch sollte man wagen: Denn zu verlieren gab es nichts und zu gewinnen, wer weiß, nicht wenig.
    Am 25. März 1988 wurde die neue Sendung zum ersten Mal ausgestrahlt: »Das literarische Quartett«. Von Anfang an waren Sigrid Löffler und Hellmuth Karasek dabei. Die Kritik war, um es vorsichtig auszudrücken, enttäuscht und ungnädig. Einer meiner berühmten Kollegen urteilte knapp: Das Ganze sei bereits gestorben, bei diesem Quartett handle es sich um eine Totgeburt.
    Was wollte ich mit dem »Literarischen Quartett« erreichen? Letztlich nichts anderes als mit der gedruckten Kritik: Das »Quartett« sollte vermitteln zwischen den Schriftstellern und den Lesern, der Kunst und der Gesellschaft, der Literatur und dem Leben. Aber mag auch dieses »Quartett« das gleiche erreichen wollen wie die Kritik in Zeitungen und Zeitschriften, dann doch mit anderen Mitteln. Denn es wendet sich, jedenfalls teilweise, an ein anderes Publikum. Deutlichkeit hielt ich immer für das große Ziel der Kritik, und ich meinte, dies habe für das Fernsehen erst recht zu gelten. Also muß man hier besonders klar reden, besonders griffig und anschaulich formulieren, da allerlei vom gesprochenen Wort ablenken kann – Sigrid Löfflers Frisur, Hellmuth Karaseks Jackett oder meine Krawatte. Ich habe auch durchgesetzt, daß in diesen Gesprächen über Bücher nichts vorgelesen werden darf und Spickzettel verboten sind.
    War es eine Unterhaltungssendung über Literatur, die ich im Sinne hatte? Nein, das war nicht angestrebt, aber es sollte auch nicht vermieden werden: Wenn das »Quartett« viele Zuschauer amüsiert, dann freut mich das. In der Tat, wir wollen auch unterhalten – und
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