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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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folgen damit der Tradition der deutschen Literaturkritik von Lessing über Heine und Fontane bis zu Kerr und Polgar. Überdies ist es nicht unsere Sache, Bücher zu behandeln, weil sie im Gespräch sind. Aber wir sehen es gern, wenn die Bücher, die wir behandeln, ins Gespräch kommen. Wir folgen nicht den Bestsellerlisten. Aber wir sind zufrieden, wenn die Bücher, die wir empfehlen, auf den Bestsellerlisten landen.
    Zum Publikum des »Literarischen Quartetts« gehören neben Lesern und Kennern der Literatur auch Menschen, die von ihr nichts wissen wollen. Bisweilen sehen sie uns dennoch zu, wohl deshalb, weil sie Spaß an unseren Gesprächen haben und vielleicht auch an unserem Streit.
    Allem Anschein nach greifen diese Zuschauer, oft selber von ihrem plötzlich erwachten Interesse überrascht, zu dem einen oder anderen der von uns besprochenen Bücher. Ich will nicht verheimlichen, daß mir gerade an diesen Zuschauern besonders gelegen ist. Viel wird dem »Quartett« vorgeworfen. Am häufigsten hört man, die Sendung sei banal, bisweilen populistisch und immer oberflächlich, nichts werde hier auf angemessene Weise begründet, hingegen alles vereinfacht. Derartige Vorwürfe und noch viele andere sind nur allzu berechtigt – und ich bin es, der für diese Untugenden und Mängel die Verantwortung trägt.
    Da stets von fünf Büchern die Rede ist, stehen für jedes im Durchschnitt vierzehn bis fünfzehn Minuten zur Verfügung – und somit für jeden der vier Teilnehmer etwa dreieinhalb Minuten pro Titel. In diesen dreieinhalb Minuten soll etwas über die Eigenart des Autors gesagt werden, über das Thema und die Problematik seines neuen Buches, über dessen Motive und Personen, über die angewandten künstlerischen Mittel und mitunter auch über bestimmte aktuelle, zumal politische Aspekte. Kurz und gut: Gibt es im »Quartett« ordentliche Analysen literarischer Werke? Nein, niemals. Wird hier vereinfacht? Unentwegt. Ist das Ergebnis oberflächlich? Es ist sogar sehr oberflächlich. Wir können nur andeuten, welchen Eindruck die Bücher auf uns gemacht haben, und nur kurz sagen, was unserer Ansicht nach an ihnen gut oder schlecht ist. Somit müssen wir – und das gilt für die drei ständigen Mitglieder des »Quartetts« ebenso wie für die Gäste – auf unsere literarkritischen Ambitionen nicht ganz, aber doch teilweise verzichten.
    Lohnt sich das? Wie man hört, hat es in der Geschichte des deutschen Fernsehens noch keine Sendung gegeben, die auf den Verkauf von literarischen Werken, auch und vor allem anspruchsvollen, einen so unmittelbaren und so starken Einfluß gehabt hat wie das »Quartett«. Aber gehört denn diese Einflußnahme zu den Aufgaben oder gar Pflichten der Kritik? Ja – und in unserer Zeit mehr denn je. Denn heute kommt es darauf an, das Publikum bei der Stange zu halten. Mit anderen Worten: Wir müssen dafür sorgen, daß uns das Publikum nicht wegläuft – zu anderen und nicht unbedingt ehrenrührigen Freizeitbeschäftigungen.
    Ich glaube, daß mir ein großes Unrecht antun würde, wer meine berufliche Leistung lediglich auf Grund des »Literarischen Quartetts« beurteilte. Was ich zur Literatur zu sagen hatte und habe, ist nach wie vor in meinen Aufsätzen für Zeitungen und Zeitschriften zu finden und in meinen Büchern. Doch was ich in meinem langen Kritikerleben wollte und was mir nie ganz gelungen ist, was ich nie ganz geschafft habe – die breite öffentliche Wirkung auf das Publikum –, das hat mir erst das Fernsehen ermöglicht.

 
Joachim Fest, Martin Walser und
das »Ende der Schonzeit«
     
    Soll ich über den Historikerstreit schreiben? Lohnt sich das noch? Es sind inzwischen dreizehn Jahre vergangen, einige der wichtigeren Diskussionsteilnehmer leben nicht mehr, im neuesten Brockhaus wird dem Streit zwar ein Stichwort gewidmet, doch zugleich festgestellt, er sei für die Forschung unergiebig gewesen. Sicher ist: Was einst zumindest die intellektuelle Welt Deutschlands aufgeregt hat, ist nun selber Geschichte geworden. Aber vergessen hat man ihn noch nicht, diesen unseligen Streit.
    Mögen sie ihn erörtern – die Historiker, die Soziologen, die Politikwissenschaftler. Ich gehöre dieser Zunft nicht an, ich habe an der Kontroverse nicht teilgenommen, also brauche ich mich heute in dieser Sache nicht zu äußern, ja, jetzt, nach dreizehn Jahren, darf ich schweigen.
    Doch ob es mir gefällt oder nicht, ich habe an diesem fatalen Historikerstreit gelitten. Ich habe mich
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