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Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Titel: Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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frühstücken und auf unseren Flug warten.“
    Phillip und ich wechseln einen Blick. Einen Moment lang weiß ich nicht, wie ich atmen soll, und schnappe nach Luft. Panik steigt in mir auf. So hatte ich mir unseren Abschied nicht vorgestellt. Nicht hier, mitten in dieser kalten Halle, während alle zusehen. Bitte nicht!
    „Geh schon mal vor“, sagt Phillip zu seinem Vater, ohne seinen Blick von mir zu nehmen. „Ich komme gleich nach.“
    Herr Graf schüttelt uns noch einmal die Hand und verabschiedet sich, dann geht er voraus in Richtung Rolltreppe und fährt hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Lena und Krischan nehmen Phillip in den Arm. Krischan tätschelt meine Schulter. „Wir warten am Auto auf dich, okay?“
    Ich nicke ihm dankbar zu.
    Dann sind Phillip und ich plötzlich allein. Aus dem Lautsprecher über uns kommt eine quäkige Frauenstimme. Ich höre nicht, was sie sagt. Irgendeine blöde Ansage, zuerst auf Deutsch, dann noch einmal in Englisch.
    Phillip nimmt meine Hände und zieht mich an sich. Ich falle ihm um den Hals und kann meine Tränen nicht länger zurückhalten.
    „Nicht weinen“, flüstert er mir zu. „Bitte nicht weinen.“
    „Ich … ich kann nicht anders“, schniefe ich. „Tut mir leid.“
    Wir klammern uns aneinander wie zwei Ertrinkende. Wo ist unser Rettungsboot? Ich will ihn nicht loslassen. Ich will nicht, dass er geht. Ich will das alles nicht!
    Sein Mund sucht meine Lippen. Wir küssen uns, halten uns fest.
    „Ich muss los“, sagt er leise.
    „Ich will nicht, dass du gehst.“
    „Ich weiß.“
    Ganz zart streichelt seine Hand über meine Wange. Ich lege meine Hand auf seine und halte sie fest.
    „Geh“, sage ich, und es bricht mir das Herz. Ich spüre es genau. Es fühlt sich wie ein Riss an, der durch mein Innerstes läuft. Zuerst ganz langsam, dann immer schneller. Knacks, sagt es. Es tut nicht weh. Es brennt nur höllisch.
    In Phillips Augen schimmern Tränen.
    „Pass auf dich auf“, flüstert er. „Vergiss mich nicht.“
    Mein gebrochenes Herz schreit auf. Wie könnte ich ihn vergessen?
    Seine Hand entgleitet mir. Ich lasse sie los und lasse ihn endlich gehen. Tränenblind starre ich ihm hinterher, sehe ihn wie durch dichten Nebel von mir fortgehen und immer kleiner werden. Er stellt sich auf die Rolltreppe, fährt hinauf. Ich will ihm hinterherlaufen, will ihn festhalten, aber meine Beine wollen mir nicht gehorchen. Meine Füße kleben am Boden wie festgefroren. Sie weigern sich, einen einzigen Schritt zu tun.
    Oben an der Rolltreppe bleibt Phillip stehen und dreht sich noch einmal zu mir um. Ganz langsam hebt er eine Hand und winkt mir zu. Dann ist er verschwunden.
    *
    Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Mit Krischan und Lena natürlich, klar. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Lena sich zu mir nach hinten gesetzt und die ganze Fahrt über meine Hand gehalten hat. Krischan hat eine Wolldecke aus dem Laderaum genommen und uns darin eingewickelt. Sie hat nach Hund gerochen. Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas gesagt habe. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, zu zittern und zu weinen.
    Lena hat mich bis vor die Haustür gebracht und gewartet, bis ich drinnen war. Erst dann sind Krischan und sie selbst nach Hause gefahren. Es war schon ein bisschen hell, und ich habe mich gefragt, ob das Flugzeug mit Phillip vielleicht schon in der Luft ist.
    Meine Eltern haben bereits geschlafen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: Schön, dass Du wieder da bist. Schlaf Dich aus. Mama und Papa.
    Auf Zehenspitzen bin ich die Treppe hinaufgeschlichen und habe kurz an Jakobs Zimmertür gelauscht. Ein leises Schnarchen drang durch die Tür. Es klang irgendwie tröstlich.
    Jetzt stehe ich in meinem Zimmer und fühle mich verloren. Draußen geht die Morgensonne auf, der Vorhang bläht sich im Wind. Ich hab vergessen, das Fenster zu schließen. Ich höre, wie die ersten Vögel den Tag begrüßen. Frische Luft kommt herein. Eine einzelne Träne stiehlt sich in mein Auge. Ich spüre sie auf meiner Wange und lasse sie laufen. Geräuschlos tropft sie auf mein T-Shirt und verschmilzt mit dem Stoff.
    Mau streckt sich in seinem Körbchen und fängt an sich zu putzen. Ich gehe zu ihm, nehme ihn vorsichtig hoch und presse mein Gesicht in sein weiches Fell. Er hält ganz still und schnurrt.
    Obwohl ich todmüde bin und mich total erschlagen fühle, bin ich viel zu überdreht, um ans Schlafen zu denken. Mit meinem Kater auf dem Arm setze ich mich an den
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