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Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Titel: Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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diesen kurzen Augenblick, den wir noch haben.
    Bevor ich losfahre, drückt Phillip mir einen dicken Packen Bücher in den Arm. Seine Bildbände und Reiseberichte über San Francisco und Berkeley, Kalifornien, USA . Ich breche unter dem Gewicht fast zusammen.
    „Was soll ich denn damit?“, ächze ich.
    „Mich besuchen“, sagt Phillip. „In deiner Fantasie.“
    Ich habe ihm natürlich erzählt, dass ich meine Eltern zu einem Austausch überreden wollte und wie sie darauf reagiert haben. Und jetzt soll ich in Büchern spazieren gehen und mir das, was er demnächst in echt sieht, auf irgendwelchen blöden Hochglanzfotos angucken? Hm, ich weiß nicht …
    „Danke“, sage ich trotzdem und klemme das Amerika-Gesamtpaket auf meinen Gepäckträger. „Hoffentlich verlier ich unterwegs nicht die Hälfte!“
    Auf meinem Nachhauseweg fahre ich noch mal durch den Park und halte auf der Brücke an. Nicht nur, weil die Bücher rutschen, sondern auch, weil ich unser Schloss noch einmal sehen möchte. Da ist es! Ganz einsam hängt es an dem stahlblau lackierten, schnörkeligen Geländer, als hätte es jemand zufällig dort vergessen. Ich strecke meine Hand aus und berühre das kühle Metall, die verschlungenen Herzen, unsere Namen. Wenn Phillip weg ist, werde ich, sooft ich kann, hier vorbeifahren. Egal ob es stürmt oder regnet oder schneit, die Sonne scheint oder die Welt untergeht. Ich passe auf unser Schloss auf, bis er wieder da ist. Das nehme ich mir ganz fest vor.

Ein Song im Radio und Chaos im Kopf.

    Mir fehlen die Worte, ich hab die Worte nicht, dir zu sagen, was ich fühl …
    Da muss jemand genau gewusst haben, wie ich mich fühle, als er diesen Song geschrieben hat. Im Moment höre ich die CD rauf und runter. Sobald das Lied irgendwo im Radio läuft, reiße ich die Lautstärke hoch. Natürlich hab ich das Album auch auf meinem Laptop. Ich höre es ständig. Morgens beim Aufwachen, abends beim Einschlafen, nachts, wenn ich traurig bin, und immer wieder zwischendurch; wenn ich Hausaufgaben mache, lese oder träume.
    Du bist die Erinnerung an Leichtigkeit, die ich noch nicht gefunden hab, der erste Sonnenstrahl nach langem Regen, die, die mich zurückholt, wenn ich mich verloren hab, und wenn alles leise ist, dann ist deine Stimme da …
    Die Zeit läuft, und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie gegen mich läuft. Jeder Tag, den ich in meinem Kalender abstreiche, ist ein Tag näher an dem Tag, an dem Phillip und ich uns voneinander trennen müssen. Unser Abschiedstag. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich aushalten kann. Es tut höllisch weh.
    Freitag gibt es Zeugnisse. In den letzten Wochen habe ich einen Test nach dem anderen in den Sand gesetzt und mich in der Schule auch sonst nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Aber meine Eltern wissen, wie es mir geht – mies, mies, mies –, und lassen mich in Ruhe. Ich habe ihnen hoch und heilig versprechen müssen, im neuen Schuljahr alles aufzuholen. Das hab ich mir auch für mich selbst vorgenommen. Was soll ich im nächsten halben Jahr auch sonst Großartiges machen außer für die Schule lernen?
    Prickelnde Aussichten, Conni Klawitter: Phillip ist weg und du mutierst zur Streberin! Örks …
    Sonnabend ist der erste Ferientag. Der erste Tag ohne Phillip. Dann gibt es kein Wir mehr, nur noch ein Er und ein Ich. Er in Berkeley, ich in Neustadt. Ich kann mir das noch gar nicht richtig vorstellen, aber ich werde mich wohl langsam daran gewöhnen müssen. Phillip und sein Vater fahren mitten in der Nacht los, noch vor Morgengrauen. Ihr Flieger startet ganz früh. Wir werden uns also schon am Vorabend voneinander verabschieden müssen. Oder ich fahre mit. Vom Flughafenterminal fährt eine Bahn zurück. Ich hab mich noch nicht entschieden. Und Phillip weiß auch nicht, was ihm lieber wäre.
    Die ganze Zeit überlege ich, was wohl weniger wehtut. Wenn wir uns am Abend vorher schon trennen oder wenn ich mitfahre und zusehen muss, wie er ins Flugzeug steigt.
    Bei dem bloßen Gedanken daran schießen mir sofort Tränen in die Augen. Ich seh schon wie ein Angorakaninchen aus, total rotäugig. Kein Wunder, seit Wochen heule ich bei jedem noch so kleinen Anlass los. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich aussehe, wenn ich nicht verheult bin. Ob sich das irgendwann mal wieder legt? Oder geht das jetzt etwa die ganzen nächsten sechs Monate so weiter?
    Lena hat vorgeschlagen, dass wir am Freitagabend bei Krischan auf dem Hof grillen. Es soll wohl eine Art Abschiedsfest werden. Gut
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